Pretty Little Liars - Vogelfrei: Band 8
sinken. Ali nahm sechs Vanilleduftkerzen aus einer Plastiktüte und stellte sie auf die Nachttische und die Kommode. Dann riss sie ein Streichholz an, das mit einem Knistern aufflammte. Im Zimmer war es bereits dunkel, aber Ali schloss die Jalousien komplett und zog zusätzlich noch die Vorhänge vor. Die Kerzen warfen unheimliche Schatten an die Wand.
»Okay«, sagte Ali. »Äh, dann entspannt euch mal.«
Emily kicherte nervös. Hanna atmete tief ein und laut aus. Spencer versuchte, ihre Arme zu entspannen, aber ihr rauschte immer noch das Blut in den Adern. Es wird alles gut, sagte sie sich selbst.
»Euer Herzschlag wird langsamer«, intonierte Ali. »Denkt ruhige Gedanken. Ich zähle jetzt von hundert rückwärts, und wenn ich euch danach berühre, seid ihr in meiner Macht.«
Alle schwiegen. Die Kerzenflammen flackerten und zischten. Spencer schloss die Augen, als Ali zu zählen begann. »Hundert … neunundneunzig … achtundneunzig …«
Spencers linkes Bein zuckte, dann ihr rechtes. Sie versuchte, ruhige Gedanken zu denken, aber es war unmöglich, nicht in jene Nacht zurückversetzt zu werden, in der sie das letzte Mal hypnotisiert worden war. Sie hatten alle vier auf dem runden Teppich in der Scheune ihrer Familie gesessen und sie hatte sich darüber geärgert, dass Ali sie mal wieder dazu gebracht hatte, etwas zu tun, was sie eigentlich nicht wollte. Sie hatte Angst, dass sie unter Alis Bann vielleicht verraten würde, dass sie Ian geküsst hatte … und Melissa sie hörte? Melissa und Ian waren gerade noch in der Scheune gewesen – vielleicht waren sie noch in der Nähe.
Und vielleicht, ganz vielleicht war Melissa ja wirklich ganz in der Nähe gewesen. Vor dem Fenster … mit einer Kamera.
»Fünfundachtzig … vierundachtzig … «, säuselte Ali. Ihre Stimme entfernte sich immer weiter, bis es klang, als flüstere sie am Ende eines sehr langen Tunnels. Dann erschien ein trüber Lichtschein vor Spencers Augen. Alle Geräusche verzerrten sich. Dann roch sie gebeizte Dielen und frisches Mikrowellenpopcorn. Sie atmete tief durch und versuchte, sich die Luft, die durch ihre Lungen floss, bildlich vorzustellen.
Als sich das Bild vor Spencers Augen klärte, wurde ihr klar, dass sie in der alten Scheune ihrer Familie war. Sie saß auf dem alten, weichen Teppich, den ihre Eltern in New York gekauft hatten. Der Duft von Kiefernholz und Frühsommerblumen drang von draußen herein. Sie schaute ihre Freundinnen an. Hannas Bauch quoll über ihre Jeans. Emily war mager und sommersprossig. Aria hatte pinkfarbene Strähnen im Haar. Ali schlich auf Zehenspitzen zwischen ihnen herum und berührte ihre Stirnen mit der Spitze ihres Daumens. Als sie bei Spencer ankam, sprang diese auf.
Es ist zu dunkel hier drin, hörte sie sich sagen. Die Worte drangen aus ihrem Mund, ohne dass sie Einfluss darauf hatte.
Nein, beharrte Ali. Es muss dunkel sein, sonst funktioniert es nicht.
Es muss nicht immer alles nach deinem Kopf gehen, Ali, sagte Spencer.
Mach sie zu, antwortete Ali und bleckte die Zähne.
Spencer versuchte krampfhaft, Licht in den Raum zu lassen. Ali stöhnte frustriert auf. Aber als Spencer zu ihr zurückblickte, merkte sie, dass Ali nicht nur wütend war. Sie stand wie zur Salzsäule erstarrt da, ihr Gesicht war verzerrt und leichenblass, ihre Augen waren weit aufgerissen. Es war, als habe sie gerade etwas Schreckliches gesehen.
Spencer drehte sich wieder zum Fenster um, sie hatte aus den Augenwinkeln einen Schatten wahrgenommen. Es war ein winziges Erinnerungsfragment, kaum greifbar. Spencer konzentrierte sich voll auf das Bild und versuchte verzweifelt,
herauszufinden, ob sie es wirklich gesehen hatte. Und dann sah sie es. Es war Alis Spiegelbild – doch trug sie eine Kapuze und hatte eine klobige Kamera in der Hand. Ihre Augen blickten dämonisch. Sie blinzelte nicht. Aus ihrem Blick sprach die nackte Mordlust. Spencer kannte diese Person sehr gut. Sie versuchte, ihren Namen auszusprechen, aber ihre Lippen versagten ihr den Dienst und sie glaubte zu ersticken.
Die Erinnerung ging jetzt ohne ihr Zutun weiter. Hau ab, hörte sie sich zu Ali sagen.
Von mir aus, antwortete Ali.
»Nein!«, rief Spencer ihrem jüngeren Ich zu. »Halte sie auf! Sie muss bei euch im Zimmer bleiben. Da draußen steht ihre Schwester! Und sie will ihr etwas antun!«
Aber die Erinnerung spulte sich immer schneller ab, ohne dass Spencer etwas daran ändern konnte. Jetzt stand Ali an der Tür. Sie drehte sich noch einmal um
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