Price, Richard

du, alles, was du da draußen echt brauchst,
ist Herz. Du hast da eine Meute um dich rum, der musst du Herz zeigen. Aber
wenn wir uns auf den Nerven rumtrampeln lassen, Himmelherrgott, dann tanzen
die uns auf der Nase rum, und wir können unseren Job gleich vergessen,
verstehst du? Das Ganze ist eine Falle. Wenn du 'ne Meute am Hintern hast, dann spielst du
besser deine Rolle, sonst bist du nichts. Dumme Sache, aber das sind die
Regeln. Ich weiß nicht, ich seh den Burschen manchmal, ich seh die Mutter. Kann
nicht behaupten, dass wir Freunde sind, aber es ist alles cool, mehr oder
weniger. Wir verstehen alle, dass jeder getan hat, was er tun musste, und ...
na ja, das Leben geht weiter.«
    Thumper zündete sich erneut eine Zigarette an, machte
ein paar Schritte, kam zurück, schnippte die Zigarette auf die Straße. Er
stellte einen Fuß auf die Stufen, die zum Gericht führten, und band sich seinen
Schuh zu.
    Rocco seufzte und stopfte seine Hände in die
Hosentaschen. Thumpers Geschichte ließ ihn an all die Cops denken, die die Siedlung
betraten, als handle es sich um feindliches Gebiet, und die alle wie Kriminelle
behandelten, und er fragte sich, ob Thumper nicht ein wenig übers Ziel
hinausgeschossen war. Auf der anderen Seite war Thumper ein Kollege, und Rocco
stand so oder so auf seiner Seite, hätte seine Handlungsweise unter keinen
Umständen in Zweifel gezogen.
    Trotzdem hasste er es zu hören, dass der Junge so
behandelt worden war. Und das war wahrscheinlich auch die Erklärung dafür,
dass Victors Mutter und seine Frau ihn nicht gerade mit offenen Armen empfangen
hatten.
    Dieser Junge, Victor ... Er fing an, Rocco ein wenig
unter die Haut zu gehen, aber das Gefühl war keineswegs nur unangenehm. Tatsächlich
war der ganze Tag gar nicht so übel: Seine Konzentration war gut, er hatte das
Gefühl, ernsthaft an den gehörten Geschichten interessiert zu sein, war
gefangen von den Charaktereigenschaften und Haltungen, davon, wie Namen und
Umstände sich auf vage, aber verlockende Art miteinander verbanden. Er hatte
das Gefühl, beteiligt, präsent zu sein.
    »Mikey ... glaubst du, dieser Bursche, Victor, ist
irgendwie verdorben?«
    »Wie zum Beispiel?« Thumper krümmte seinen Rücken und
bewegte seine Ellbogen ruckartig nach hinten, um den Brustkorb zu strecken.
    »Drogen zum Beispiel.«
    »Nein. Ich sag dir, ich hab mir fast gewünscht, er
wär's, dann würd ich mich besser fühlen bei dem, was passiert ist.«
    »Sein Bruder ist dieser Strike?«
    »Strike.« Thumper schlug mit den Fingerknöcheln in die
offene Handfläche. »Das ist eine völlig andere Geschichte. Der Bursche macht mich echt verrückt. Sieht gut aus,
sauber, helle, weißt du, und was stellt er mit sich an? Er sitzt da draußen und
hat 'ne Crew am Laufen, so als sei Dealen das Einzige, was die Welt ihm zu
bieten hat. 'ne Menge von den Leuten da draußen gehen mir auf die Nerven, aber
der ärgert mich.«
    »Wenn Strike der Bruder von diesem Burschen ist, liegt
ja der Gedanke nahe, dass der Mord eine Drogengeschichte war.«
    »Um die Wahrheit zu sagen, ich sehe Strike andauernd,
aber mit dem anderen Dunham ist er mir noch nie über den Weg gelaufen.«
    Rocco lächelte, drehte sich um die eigene Achse und sog
die kühle Nachtluft ein. »Also, du glaubst nicht, dass Victor Dunham für Rodney
arbeitet?«
    »Rodney Little?« Thumper verzog das Gesicht. »Ich
bezweifle es, Roc, der Junge ist einfach sauber. Und Strike, klar, er hat jede
Menge mit Drogen zu tun, aber er ist kein Killer, bloß eine kleine Schlange.
Woher weißt du überhaupt, dass es der Bursche war?«
    »Er hat sich selbst gestellt. Liest du keine Zeitung?«
    »Wirklich?«, sagte Thumper. »Was hat er gesagt?«
    »Nichts. Irgendeinen Scheiß von wegen Notwehr. Ich weiß
wirklich nicht, was passiert ist. Was glaubst du!«
    »Keine Ahnung. Du bist doch bei der Mordkommission. Aber könnte es nicht
vielleicht auch so sein, dass es wahr ist?« Thumper gab ein leises Keuchen von
sich, und das Wort >wahr< klang halbherzig und schwach, als sei es nicht
den Atemzug wert, den man brauchte, um es auszusprechen.
     
    >Rudy's< war bierdunstig, dunkel, langgestreckt
und schmal; plärrende Musik drang aus den Lautsprechern und übertönte das an
der Wand befestigte Fernsehgerät. Rocco kam die Bar wie ein recht friedlicher
Ort vor, kein Tummelplatz für Krawallmacher; die meisten der Gäste sahen entweder
älter als fünfunddreißig aus oder waren durch ein hartes Leben vorzeitig
gealtert. An den