Price, Richard
wahrscheinlich nicht mal so sehr weh tat, aber frischen
Zündstoff für weitere Schluchzer bot. Das Kind schlief allein in diesem Zimmer,
aber Crystal hatte das Hochbett dort hineingestellt, weil es umsonst gewesen
war. Eine Nachbarin, deren Zwillingssöhne zur Army gegangen waren, um von der
Straße wegzukommen, hatte es ihr angeboten.
Während
Jose sich auf den Rücken fallen ließ, untröstlich betrübt die Hände an die
Schläfen drückte und leierte: »Du hast's versprochen, du hast's versprochen«,
warf Strike einen Blick auf die Fotos auf Joses Kommode und Tisch: Jose mit
Kindergartenmütze und -schürze, mit seinen Großeltern in Ponce, beim Nikolaus
auf dem Schoß, mit seinem Knastbruder von Vater vor dem Wohngebäude.
Crystal
stand neben ihm und ließ den Sturm sich abkühlen. »Es ist fast eins, und er
muss morgen zur Schule. Hab ich recht?«
Der Junge
setzte sich auf, sein fetter kleiner Brustkorb hob sich bis ans
Schlüsselbein, er rang die Hände und sah wie ein gequälter Zwerg aus.
»Versprochen ist versprochen, Mami, und wird auch nicht gebrochen.«
»Mach das
Licht aus, ich bring dir eine Coca-Cola.«
Crystal
strich auf ihrem Weg in die Küche an Strike vorbei. Strike kam es vor, als würde
sie nach Lammkoteletts oder Ähnlichem riechen. Es war ein unangenehm schwerer
Geruch, der ihm das Gefühl gab, als könne er nur mit Mühe Luft bekommen.
Allein mit
dem Kind, vermied Strike dessen Blick. Er besah sich das Zimmerfenster, das mit
Stangen und Streben vergittert war, um Jose drinnen und die Junkies draußen zu
halten, starrte auf ein tellergroßes Stück abblätternder Farbe, das von der
Decke hing - Teufel, was war das schwer, Luft zu holen.
Strikes
Anwesenheit schien das Kind ein wenig zu verängstigen; sein Jammern verflachte
zu tiefem Schaudern und Seufzen, während es sich bis auf die Unterwäsche auszog
und müde unter seine Ghostbuster-Decke kroch.
Strike
wusste nicht, ob er etwas sagen sollte, hatte aber das Gefühl, dass er es
versuchen sollte.
»Du wirst
jetzt wie ein Mann schlafen gehen.« Strike verließ rückwärts das Zimmer, und
das Kind sagte kein Wort, als hielte es den Atem an, bis Strike verschwunden
war.
Strike lag
in Unterhosen auf Crystals Bett, die Hände hinter dem Kopf verschränkt, und
starrte einen gelben Schmetterling an, der an einem kreisenden Sekundenzeiger
in einer großen Diorama-Uhr voller Plastikblumen hing. Am Ende des
Minutenzeigers war ein Japankäfer und am Stundenzeiger eine Schnecke. Die
Geschäftigkeit der vollgestopften Uhr erfüllte ihn gleichzeitig mit Faszination
und Abscheu.
Die Uhr
zeigte Viertel nach eins. Draußen vor dem Fenster dröhnte blechern ein
Autoradio. Strike lag da und dachte darüber nach, wie alles falsch gelaufen
war, seit er Rodneys Haus verlassen hatte: zuerst Futon, die träge Flasche,
dann dieser Cop unten im Haus und schließlich Crystal, die mit hundertfünfzig
Sachen daherplapperte, als habe sie etwas zu verbergen. Doch das Schlimmste war
Rodney selber, Rodney, der auf den falschen Mann gesetzt hatte und dann zu
Strike kam, um die Situation zu klären. So viel Betrug in der Luft, und Strike
versuchte, alles zu überdenken und sich darauf zu konzentrieren, was dabei für
ihn heraussprang - dass er von der Straße wegkam, wie viel Geld er einsacken
konnte. >Denk gut nach: Überleg dir die möglichen Konsequenzen, die
möglichen Vorteile, stell dir die Zukunft vor.<
Crystal
trat ins Zimmer, ihr geflickter Bademantel war verschwunden. Sie trug ein
kurzes Nachthemd, und Strike, der in der Dunkelheit ihre Silhouette
betrachtete, versuchte die Farbe zu erraten. Sie kroch auf allen vieren neben
ihn, sah zum Fenster hinaus und schnalzte mit der Zunge.
»Ich hasse
das. Jede Nacht sind die da unten mit ihren verdammten Radios, die ganze Nacht
lang.«
Strike
drehte sich um und sah zum Fenster hinaus. Die Rückseite des Gebäudes war in
eine Hügelflanke gebaut worden, und ein mit Müll übersäter Hang reichte von den
Kellerfenstern hinab zur Straße. Auf der anderen Seite des Gehsteigs war eine
weitere, mit Abfall übersäte Baulücke zwischen zwei verlassenen Gebäuden. Zwei
Grüppchen standen auf der Straße, eine Gruppe hing um einen Isuzu Trooper, die
andere am Ende des Blocks unter der rot-gelben Markise einer Bodega. Laute
Musik schüttelte den Isuzu, und das Dröhnen der Bassläufe ließ Strike
vermuten, dass die Rücksitze herausgenommen worden waren, um Platz für die
Lautsprecher zu schaffen. Die Gruppe um den
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