Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Prickel

Prickel

Titel: Prickel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
Vom Netzwerk:
mitspiele!«
    Da schwang einiges an Panik mit. Ich dachte an des Doktors Wurstfinger und daran, was mir sein Professor über deren chirurgische Fähigkeiten gesagt hatte, und brachte ein gewisses Verständnis auf.
    »Ich habe die Anomalitäten der Triebsteuerung ein Leben lang studiert ... Der in Frage kommende Bereich des Gehirns ist kaum größer als der Kopf einer Stecknadel . Es müßte genügen, nur jeweils dieses Gebiet zu veröden, mit Kälte oder eben mit dem Laserstrahl, und anschließend könnte ich guten Gewissens die Hälfte meiner Patienten in die Freiheit entlassen ... Ja, man könnte bei auffälligen Personen prophylaktisch vorgehen . Das wäre die größte medizinische Entdeckung seit -«
    »Du verödest überhaupt nichts bei mir. Und komm mir nicht näher! Ihr bringt mich jetzt hübsch zum Flughafen, oder-hmmmh- mmmh- mmmmh- mmmhmmmmm- mh mm .«
    »Ja, sehr gut«, sagte Victor Blandette mit seiner kühlen und beherrschten Chefarztstimme. »Laß ihn zu Boden ... So, daß reicht. Gib mir den Wattebausch . Strahler . Ja, er ist sehr schön weg. Mindestens eine halbe Stunde, würde ich sagen. Wir müssen uns beeilen, jetzt. Bind ihm Fußknöchel und Handgelenke zusammen, ich rufe inzwischen in der Klinik an. Sie sollen den OP vorbereiten und sich dann bedeckt halten. Du wirst mir assistieren. Es muß . Schluß sein.«
    Schwere Schritte entfernten sich. Klebeband wurde mit reißenden Geräuschen von der Rolle gewickelt.
    Mutter Blandette hatte nicht die gepünkelte Strickjacke geholt. Sondern das Chloroform.
    Ich blieb liegen, bis alle Geräusche im Haus verstummt waren; das gepreßte Atmen, die gekeuchten Anweisungen, das Rumpeln eines Hinterkopfes, der über Fliesenboden gezogen wird .
    Ich blieb liegen, bis das Garagentor quietschte und ein Sechszylinder gestartet und nervös hochgejubelt wurde. Dann erst robbte ich aus dem Gebüsch.
    Wieder im Wagen, ließ ich den grauschwarzmetallicfarbenen Mercedes an der langen Leine vorausfahren. Schließlich wußte ich ja, wohin sie wollten. Es ging mir nur darum, sicherzustellen, daß sie es sich nicht unterwegs anders überlegten und den Sohnemann in einem Feuerlöschteich im Wald versenkten. Doch im Grunde war ich unbesorgt. Victor Blandettes Stimme hatte gezittert, als er vom Veröden stecknadelkopfgroßer Gehirnregionen gesprochen hatte. Gezittert vor Geilheit.
    Einen halben Kilometer oder so vor dem Christopherus-Asylum hielt ich an, stieg aus und kletterte auf einen Erdwall. Oben angekommen, bekam ich so gerade noch mit, wie in der Ferne Blandettes Mercedes die Toreinfahrt zum Park passierte und die Allee hinunterstob.
    Über mir riß der Himmel auf und ein paar Sonnenstrahlen wärmten mir das Kreuz. Ein Gefühl wie Feierabend beschlich mich, wie ich da so stand.
    Nach einer Weile erschien eine Gestalt in der Einfahrt und schwang die beiden mächtigen, schmiedeeisernen Torflügel zu. Keine ungebetenen Gäste, keine Störungen heute für den Anstaltsleiter Professor Doppeldoktor bei seinen bahnbrechenden Forschungen.
    Danach passierte nicht mehr viel. Ein blitzblanker Milchlaster kam vorbei. Ein Mähdrescher. Hummeln summten durch das Gras zu meinen Füßen. Ein Stück weiter links von mir begann eine Friedhofsglocke zu bimmeln. Jet auf Jet auf Jet senkte sich aufs nahe Lohhausen herab.
    Irgend etwas sollte ich tun, jetzt.
    Ich steckte mir eine an. Die Friedhofsglocke verstummte. Eine Bö zauste mein Haar.
    Ich trug, fiel mir auf, zwei verschiedene Verkleidungen übereinander. Darunter, fiel mir auf, spürte ich jeden einzelnen Bluterguß, jeden Striemen, jeden Kratzer in der Pelle, jede angeknackste Rippe, jeden Knochen im Leib. Ich gehörte geduscht, gesalbt, verpflastert, massiert, mit einer leichten, warmen Mahlzeit versehen und langsam, sanft und gleichmäßig in den Schlaf gevögelt. Ich gehörte irgendwie belohnt für die ganze Scheiße, die ich durchgemacht hatte. Und nicht von eigener Hand.
    An der Telefonzelle machte ich Halt. Nach kurzem Nachdenken tippte ich eine Nummer.
    Charly klang etwas atemlos.
    »Hast du mit Heiko gesprochen?« fragte ich ihn.
    »Ja, klar. Wir kommen gerade zurück. Sind vor 'ner Dreiviertelstunde gelandet. Und die Else wird von der Zeitverschiebung ganz rollig, wenn wir deshalb -«
    Ich sagte: »Wie, gelandet?«
    »Na, mit dem Flugzeug, wie wohl sonst? Heiko sitzt in Caracas im Bau. Wir mußten rüber, ihm einen Anwalt besorgen und so'n Kram. Notwehr, sagt er. Wird er wohl auch mit durchkommen. Er hatte schließlich nur

Weitere Kostenlose Bücher