Priester und Detektiv
Tölpelhaftigkeit und Vertiertheit ließ den Aszeten endlich sich seinem Gebete um Reinigung und neue Gedanken zuwenden. Er schritt nach einer Kniebank unter einem farbigen Fenster in der Galerie hinauf, das er liebte, weil es immer sein Gemüt beruhigte, ein blaues Fenster mit einem lilientragenden Engel. Dort begann er nachzudenken, weniger über den Idioten mit seinem fahlen Gesichte und seinem Fischmaule. Mehr und mehr entfernten sich auch seine Gedanken von seinem schlimmen Bruder, der wie ein abgemagerter Löwe in seinem schrecklichen Heißhunger einherschritt. Tiefer und tiefer versank er in jene kalten und süßen Farben von Silberblüten und saphirenem Himmel.
An diesem Platze wurde er eine halbe Stunde darauf von Gibbs, dem Dorfschuster gefunden, der in Eile nach ihm geschickt worden war. Rasch erhob er sich, denn er wußte, daß eine Kleinigkeit Gibbs unter keinen Umständen hierher geführt hätte. Der Schuster war wie in vielen Dörfern ein Gottesleugner und sein Erscheinen in der Kirche noch um einen Grad außergewöhnlicher als das des Verrückten. Es war ein Morgen voll von theologischen Rätseln.
»Was gibt es?« fragte Wilfried Bohun ziemlich steif, aber die Hand zitternd nach dem Hute ausstreckend.
Der Gottesleugner sprach in einem Tone, der aus seinem Munde ganz auffallend achtungsvoll klang und in diesem Falle sogar eine gewisse urwüchsige Teilnahme verriet.
»Sie müssen mich entschuldigen, Herr,« sagte er in heiserem Flüstern, »aber wir meinten, es wäre nicht recht, wenn wir Sie nicht sofort verständigt hätten. Ich fürchte, es ist etwas ziemlich Schreckliches geschehen, Herr. Ich fürchte, Ihr Bruder –«
Wilfried ballte seine zarten Hände. »Was hat er jetzt wieder Teuflisches begangen!« rief er in ungewollter Leidenschaftlichkeit.
»Nun, Herr,« fuhr der Schuster hüstelnd fort, »ich fürchte, er hat nichts begangen und wird nichts dergleichen tun. Ich fürchte, es ist mit ihm aus. Sie kommen besser selbst herab, Herr.«
Der Geistliche folgte dem Schuster eine kurze Wendeltreppe hinab, die sie nach einem stark über der Straße liegendem Eingange brachte. Bohun erfaßte die Tragödie mit einem Blick; wie eine Landkarte breitete sie sich unter ihm aus. Im Hofe der Schmiede standen fünf oder sechs Männer beisammen, die meisten in Schwarz, einer in der Uniform eines Polizeiinspektors. Außerdem waren dabei der Doktor, der presbyterianische Pastor und der Priester von der römisch-katholischen Kapelle (wohin das Weib des Schmiedes gehörte). Der letztere sprach eben ziemlich rasch und halblaut auf sie ein, die, eine wunderschöne Frau mit rötlichgoldenem Haare auf einer Bank schluchzte. Zwischen diesen beiden Gruppen und gerade abseits vom Haupthaufen von Hämmern lag breit und flach auf seinem Gesichte ein Mann in Abendkleidern. Von der Höhe aus hätte Wilfried auf jede Einzelheit seines Gewandes und Äußeren, herab bis zu den Bohunschen Ringen schwören können, der Schädel aber war ein einziger gräßlicher Spritzer wie ein Stern aus Schwarz und Blut.
Ein Blick genügte Wilfried Bohun, dann rannte er die Treppe nach dem Hofe hinab. Der Doktor, sein Hausarzt, begrüßte ihn, aber er schenkte dem kaum Beachtung. Er vermochte nur zu stammeln: »Mein Bruder tot! Was hat das zu bedeuten? Was ist das für ein entsetzliches Geheimnis?«
Unheilschweres Schweigen antwortete ihm, dann meinte der Schuster, der Mitteilsamste von allen: »Entsetzen genug, Herr, aber Geheimnis ist keines dabei.«
»Was meinen Sie?« fragte Wilfried aschfahl.
»Es ist klar genug,« erwiderte Gibbs. »Es gibt nur einen Mann auf vierzig Meilen in der Runde, der einen Schlag wie diesen führen könnte und das ist der, der am meisten Grund dazu hatte.«
»Wir dürfen nichts übereilen,« bemerkte ziemlich nervös der Doktor, ein großer schwarzbärtiger Mann. »Aber als Fachmann kann ich nur bestätigen, was Mr. Gibbs über die Natur des Schlages sagt, es ist ein ganz unglaublicher Schlag. Mr. Gibbs sagt, nur ein einziger Mann in diesem Bezirke könnte es getan haben. Ich meinerseits würde selbst ausgesprochen haben, daß niemand anderer dazu imstande gewesen wäre.«
Ein Schaudern von Angst überlief die schlanke Gestalt des Geistlichen. »Ich kann es schwer verstehen,« meinte er.
»Mr. Bohun,« bemerkte der Doktor mit gedämpfter Stimme, »es ist mir nicht gegeben, die Dinge zu umschreiben. Es ist noch zu wenig gesagt, wenn ich behaupte, der Schädel wurde in Scherben geschlagen wie eine
Weitere Kostenlose Bücher