Priester und Detektiv
was Pauline schrieb!«
Zum Erstaunen der anderen war es eine ganz neue Stimme, die da auf einmal in schrillem Yankee-Englisch sprach; wie ein Mantel war all sein Großtun und seine gewählte Aussprache von ihm gefallen.
»Das ist alles, was auf ihrem Pulte lag,« versetzte Johanna, die ihm immer noch mit demselben sauren Lächeln auf den Lippen gegenüberstand.
Plötzlich brach der Mann in die greulichsten Flüche und Gotteslästerungen und in einen Schwall von Verwünschungen aus. Es lag etwas Erschütterndes in diesem plötzlichen Abfallen der Maske, es sah aus, wie wenn jemands wahres Gesicht plötzlich von ihm fiele.
»Hören Sie,« schrie er, fast atemlos vom Fluchen in breitestem Amerikanisch, »und wenn ich auch tausendmal ein Abenteurer bin, Sie sind eine Mörderin! Ja, Gentlemen, da haben wir die Erklärung des Todes in Ihrem Sinne und ohne jede Verzückung. Das arme Ding schreibt sein Testament zu meinen Gunsten, da kommt ihre verfluchte Schwester dazu, ringt mit ihr um die Feder, zerrt sie nach dem Schachte und stößt sie hinab, ehe sie zu Ende schreiben kann. Verdammt! Wir werden die Handschellen doch noch brauchen!«
»Wie Sie ganz richtig bemerkt haben,« antwortete Johanna mit widerlicher Ruhe, »ist Ihr Bursche ein durchaus anständiger junger Mann, welcher weiß, was ein Eid ist. Und er kann vor jedem Gerichtshofe beschwören, daß ich mit einer Schreibarbeit in Ihrem Bureau oben war, und zwar fünf Minuten, ehe meine Schwester herabstürzte. Mr. Flambeau wird Ihnen bestätigen, daß er mich dort gefunden hat.«
Alles schwieg.
»Demnach,« rief Flambeau, »war Pauline allein, als sie abstürzte und es war Selbstmord!«
»Sie war allein, als sie abstürzte,« erwiderte Father Brown, »aber es war nicht Selbstmord.«
»Aber wie ist sie dann umgekommen?« fragte Flambeau ungeduldig.
»Sie wurde ermordet.«
»Aber sie war doch ganz allein!«
»Sie wurde ermordet, während sie ganz allein war,« versetzte der Priester.
Alle starrten ihn an, doch er verharrte in der gleichen bisherigen Stellung, die runde Stirne von einer Falte durchfurcht und unpersönliche Scham und Sorge im Ausdruck, während die Stimme farblos und gedrückt klang.
»Was ich wissen möchte,« schrie Kalon, »ist, wann die Polizei kommt, diese blutbefleckte, verruchte Schwester zu holen. Sie hat ihr Fleisch und Blut getötet, sie hat mir eine halbe Million geraubt, die ebenso rechtmäßig mir gehörte, wie –«
»Komm, komm, Prophet,« unterbrach Flambeau nicht ohne einen gewissen Hohn, »denk' daran, daß diese ganze Welt ja doch nur ein Nebelland ist.«
Der Hierophant des Sonnengottes nahm einen Anlauf, seine Pose wieder aufzunehmen. »Es ist nicht allein des Geldes wegen,« schrie er, »obwohl damit unsere Sache in der ganzen Welt auf eine sichere Grundlage gestellt gewesen wäre. Es handelt sich auch um die Wünsche meiner Geliebten. Für Pauline war all dies heilig. In Paulinens Augen –«
Father Brown sprang plötzlich auf, so plötzlich, daß sein Stuhl sich rückwärts überschlug. Er war totenblaß, und dennoch schien er von einer Hoffnung entflammt, und sein Auge funkelte.
»Das ist es,« rief er mit klarer Stimme. »Das ist der Weg, von dem man ausgehen muß. In Paulinens Augen –«
Der große Prophet wich vor dem unscheinbaren Priester in fast wahnsinniger Verwirrung zurück. »Was meinen Sie? Wie können Sie es wagen?« rief er immer wieder von neuem.
»In Paulinens Augen,« nahm der Priester unbeirrt den Gedanken wieder auf, während seine Augen an Glanz zunahmen. »Fahren Sie fort – in Gottes Namen, fahren Sie fort! Das gemeinste Verbrechen, das der Teufel eingab, wird durch ein Geständnis leichter, und ich flehe Sie an, bekennen Sie! Fahren Sie fort! Fahren Sie fort! – in Paulinens Augen –«
»Laß mich, du Teufel,« donnerte Kalon, sich windend wie ein gefesselter Riese. »Wer bist du, du verdammter Spion, daß du deine Spinnennetze um mich ziehst und mir auflauerst. Laß mich, laß mich!«
»Soll ich ihn halten?« fragte Flambeau, indem er den Ausgang verlegte, denn Kalon hatte bereits die Türe weit aufgerissen.
»Nein, lassen Sie ihn laufen,« sagte Father Brown mit einem seltsamen tiefen Seufzer, der aus den Tiefen des Weltalls zu kommen schien. »Lassen Sie Kain laufen, denn er gehört Gott.«
Schweigen herrschte im Zimmer, als er gegangen war, ein Schweigen, das für Flambeaus ungestüme Natur zu einer schier endlosen Pein der Neugier wurde. Johanna Stacey schob inzwischen kühl
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