Priester und Detektiv
Ich glaube, Sie steckten die Handschellen besser wieder ein. Die Anklage ist hinfällig.«
»Und zum Schlusse und damit auch nicht ein Hauch dieses blöden Verdachtes die Luft verpestet, will ich Ihnen alles sagen, was Sie zu wissen wünschen. Ich glaube, ich weiß, wie meine unglückliche Freundin ums Leben kam. Sie mögen dafür, wenn Sie wollen, mich oder meinen Glauben und meine Philosophie tadeln, aber jedenfalls können Sie mich dafür nicht einsperren lassen. Jedem, der sich mit dem Studium der höheren Wahrheiten abgibt, ist es wohlbekannt, daß gewisse Adepten und Illuminati in der Geschichte die Gabe des Schwebens, also sich selbst frei in der Luft zu halten, empfangen haben. Es ist nur ein Teil jener umfassenden Eroberungen der Materie, worin das Hauptelement unserer Geheimwissenschaft besteht. Die arme Pauline war von leidenschaftlichem und ehrgeizigem Temperament. Ich glaube wirklich, sie hielt sich für etwas tiefer in die Geheimnisse eingedrungen, als sie es wirklich war, und sie hat mir oft gesagt, wenn wir mitsammen im Fahrstuhle hinabfuhren, daß, wenn man nur genügende Willensstärke besässe, man so unversehrt hinabschweben können müßte wie eine Feder. Ich glaube in allem Ernste, daß in einer Verzückung hehren Denkens sie das Wunder versuchte. Ihr Wille oder ihr Glaube muß sie im entscheidenden Augenblicke verlassen haben, und das niedrigere Gesetz der Materie verübte seine entsetzliche Rache. Das ist die ganze Geschichte, meine Herren, eine sehr traurige und Ihrer Ansicht nach wohl sehr verwegene und böse Geschichte, aber sicherlich nicht die eines Verbrechens oder irgendwie in Verbindung mit mir. Nach dem Polizeisprachgebrauche würden Sie es wohl Selbstmord nennen. Ich werde es stets heldenhaften Mißerfolg im Interesse wissenschaftlichen Fortschrittes und langsamen Aufstieges zum Himmel nennen.«
Es war das erstemal, daß Flambeau Father Brown unterlegen sah. Dieser saß noch gesenkten Blickes mit schmerzlich gerunzelten Brauen, ja geradezu beschämt. Es war unmöglich, sich dem Gefühle zu entziehen, das des Propheten beschwingte Worte entfacht hatten, daß man hier einen tückischen, berufsmäßigen Verdächtiger seiner Mitmenschen, überwältigt durch einen stolzeren und reineren Geist natürlicher Freiheit und Gesundheit vor sich habe. Endlich raffte er, blinzelnd wie in körperlicher Pein sich zu den Worten auf: »Nun, wenn dem so ist, dann brauchen Sie ja nichts weiter tun, als das Papier mit dem Vermächtnis nehmen, von dem Sie sprachen, und damit abziehen. Ich möchte wissen, wo die Arme es gelassen hat.«
»Es wird drüben auf ihrem Tische an der Türe liegen, denke ich,« erwiderte Kalon mit jener massiven Unschuld in seinem Benehmen, die ihm so ganz angemessen erschien. »Sie hat mir noch besonders gesagt, sie würde es diesen Morgen ausfertigen, und ich sah sie eben schreiben, als ich im Fahrstuhle nach meinem Bureau hinauf fuhr.«
»Stand da die Türe offen?« fragte der Priester, den Blick auf eine Ecke der Binsenmatte niedergeschlagen.
»Ja,« versetzte Kalon ruhig.
»Ah, sie stand also seitdem offen,« bemerkte der andere und fuhr fort, die Mattenecke zu studieren.
»Es liegt ein Papierblatt dort drüben,« warf Johanna Stacey mit etwas merkwürdiger Stimme ein. Sie durchschritt die Türe, ging nach dem Pulte ihrer Schwester hinüber und hielt ein Blatt bläulichen Propatriapapieres in der Hand. Auf ihrem Gesichte lag ein saures Lächeln, das für einen solchen Fall wenig passend erschien, und Flambeau blickte mit gerunzelten Brauen nach ihr.
Kalon, der Prophet, stand mit jener königlichen Unbewußtheit dem Papiere fern, die er bisher zur Schau getragen hatte. Flambeau nahm es ihr aus der Hand und las mit zunehmender Verwirrung. Es begann in der Tat in der üblichen Form eines Testamentes, doch nach den Worten »ich schenke und vermache alles, was ich besitze« brach die Schrift plötzlich mit einer Reihe von Kritzern ab und jede Spur eines Namens oder Erben fehlte. Verwundert reichte Flambeau dieses verstümmelte Testament seinem geistlichen Freunde hin, der einen Blick darauf warf und es schweigend dem Sonnenpriester übergab.
Nur einen Augenblick, dann hatte dieser Hohenpriester in seinen glänzenden, wallenden Gewändern mit zwei großen Schritten den Raum durchmessen und sich vor Johanna hinpflanzend schienen seine blauen Augen aus dem Kopfe treten zu wollen.
»Welchen Schurkenstreich haben Sie da vollführt?« schrie er sie an. »Das ist nicht alles,
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