PRIM: Netzpiraten (German Edition)
haben. Damals überwiegend Funk, aber wir kamen natürlich auch an die Leitungen heran. Wir haben zwar die zugehörigen öffentlichen Schlüssel, die haben wir mit den Dateien zusammen abgelegt, und wir kennen auch die Verschlüsselungsprogramme, ebenfalls säuberlich mit abgeheftet, aber wir haben nicht die privaten Schlüssel, und so können wir mit den Daten nichts anfangen. Wir speichern sie, weil uns ja vielleicht irgendwann in der Zukunft jemand die privaten Schlüssel gibt oder anbietet. Ich kann mir gut vorstellen, dass wir eine Menge Geld dafür zahlen würden.“
„Dann sind das doch wahrscheinlich die Sowjets, die ihre alten Daten wiederhaben wollen“, warf Ben Nizer ein. Niemand fand das witzig oder geistreich.
„Unwahrscheinlich“, sagte der Crippy. „Und ich habe kein Land erwähnt. Es sollte auch nur eine Randbemerkung sein. Aber oft ergeben sich ja aus solchen Kleinigkeiten und möglichen Verbindungen Lösungen für unsere Probleme.“
„Ja, so ist es“, sagte Tessenberg. „Checkschenkow?“
Checkschenkow wiederholte seinen Namen langsam und in korrekter Aussprache, fügte seine Vornamen Linus und Viktor hinzu, und fuhr dann übergangslos fort: „Stellvertretender Leiter der Internen Revision, NSA. Wir fangen die Bösen in den eigenen Reihen.“ Bei diesen Worten lächelte er, aber nur mit dem unteren Teil des Gesichts. Alice beobachtete die anderen Gesprächsteilnehmer. Offenbar war bis auf Tessenberg niemand Checkschenkow vorher begegnet.
„Ich kann Ihnen auch eine Zahl nennen“, führte Checkschenkow weiter aus, „die Sie interessieren wird. Neunzig Prozent aller erfolgreichen Einbrüche in Computersysteme werden von Leuten begangen, die mit oder an diesen Systemen arbeiten, von Insidern also. Meistens für Geld, manchmal aus Rache, oft auch nur aus Ärger darüber, dass sie nicht genügend anerkannt oder bezahlt werden. Die gestohlenen Daten aus den NSA-Personaldateien scheinen mir keine so große oder gefährliche Sache zu sein, was ebenfalls typisch für Insidergeschäfte gegen Geld ist. Wenn es also nicht DATA TODAY sein sollte, was wir ja hoffentlich bald herausbekommen werden, dann werden wir uns vielleicht ein wenig mehr im eigenen Haus umsehen. Oder DATA TODAY bezahlt jemanden bei uns.“
Checkschenkow ließ seine Worte einen Moment lang einwirken. Dann blickte er hinüber zu Edwards und Tessenberg und sagte mit veränderter, etwas leiserer und intensiverer Stimme: „Ich verstehe nicht ganz, warum wir hier herangeholt werden, ohne auch nur einmal zuvor einen Hinweis auf die Sache bekommen zu haben. Gleichzeitig scheint die Angelegenheit so wichtig zu sein, dass das halbe Direktorium am Tisch sitzt. Habe ich etwas verpasst?“
Tessenberg und Edwards sahen sich an. Dann antwortete Tessenberg.
„Ich kann Ihnen darüber zur Zeit keine weiteren Informationen geben.“ Er machte eine kurze Pause. Alice hatte den Eindruck, als ob er Checkschenkows Namen anfügen wollte und es sich dann wegen der schwierigen Aussprache anders überlegte. „Nur so viel: Wir stellen eine verstärkte Aktivität bei hochkarätigen Angriffen auf geschützte IT-Systeme der Regierung und der Dienste fest. Noch ist nicht klar, ob wir es mit einem einzelnen Gegner zu tun haben, möglicherweise aus dem Ausland, oder mit mehreren Gegnern, die vielleicht überhaupt keine Verbindung miteinander haben. So wie ein Arzt durch Ausschlüsse die wahre Krankheitsursache eingrenzt, müssen wir den einzelnen Angriffen nachgehen und sie aufklären. Hinsichtlich DATA TODAY werden wir uns etwas einfallen lassen. Ich danke Ihnen.“
Ben Nizer war beim Verlassen des Konferenzraums so wie bei jeder anderen Gelegenheit darauf bedacht, in Alices Nähe zu sein. Dass er überhaupt nicht gefragt und sein Name nicht genannt worden war, zeugte nicht gerade von einer wirklich wichtigen Rolle bei dem Projekt Blinder Passagier. Alice konnte die Enttäuschung in seinem Gesicht lesen. Als sie nun von Leonie im Flur angehalten und zu Tessenberg in den Konferenzraum zurückgerufen wurde, wandte sich Nizer wortlos ab.
Tessenberg hatte einen Tisch aus der Gruppe weggezogen und bot ihr einen Stuhl an, so dass sie ihm gegenüber sitzen konnte. Seine Mappe lag aufgeschlagen auf dem Tisch, und sie erkannte ihren Namen auf dem Deckel eines Dokumentenbündels. Leonie und Edwards waren gegangen, und sie waren allein.
„Miss Lormant, ich habe hier Ihre Personalakte, und ich lese darin, dass Sie die Agentenausbildung bei uns erfolgreich
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