Prime Time
wieder Farbe.
»Nur Kreislaufprobleme«, sagte sie. »Tut mir Leid. Was haben Sie gefragt?«
»Ich habe Grund zu der Annahme, dass Michelle und John Essex in der letzten Nacht auf dem Schloss miteinander geschlafen haben«, sagte sie. »Kann es sein, dass Sebastian Follin eifersüchtig war?«
Karin schloss die Augen und legte sich die Hand auf die Stirn.
»Ich habe Sebastian hinterher in dem Durcheinander gefunden«, sagte sie. »Er saß auf dem Boden und heulte, war zu nichts mehr in der Lage.«
»Wegen John Essex?«
Die Frau schüttelte den Kopf, seufzte und sah Annika mit glänzenden Augen an.
»Michelle hatte ihren Vertrag gekündigt. Sie wollte ihn nicht mehr als Manager haben. Damit konnte er nicht umgehen, sein Leben lag in Scherben. Das muss man verstehen.«
»Verstehen? Warum?«
»Er wurde aus dem Rampenlicht gedrängt, verlor seinen Platz in der Öffentlichkeit. Wer war er denn schon ohne Michelle?«
»Kann einen so etwas wirklich so verzweifelt machen?«
Karin Bellhorns Körper schüttelte sich in einem rasselnden Lachen, das so heftig und unkontrolliert war, dass Annika zurückwich.
»Sie haben ja keine Ahnung«, sagte die Produzentin, stieß sich von der Wand ab und verließ die Raucherhöhle.
Annika blieb stehen und sah der Fernsehproduzentin lange hinterher, während sie den qualmigen Gestank einatmete.
Etwas von dem unförmigen Körper der Frau war noch im Raum, die unzeitgemäße Kleidung, der Mangel an Frische.
Die Leute verhalten sich seltsam unter Stress und nach einem Schock, dachte Annika.
Da entdeckte sie Anne Snapphane beim Pausenraum.
»Wo warst du denn?«, fragte Anne und goss sich den letzten Kaffee in einen gelb gepunkteten Becher.
»Karin wollte sich aussprechen.«
Anne roch an ihren Kleidern.
»Ich dachte, sie würde gleich einen Herzinfarkt bekommen«, sagte Annika und sah missmutig zu den Fahrstühlen. »Ist sie immer so?«
»Also, gestern waren wir alle an der Grenze zur Psychose.
Ich muss weitermachen, ich habe Miranda diese Woche.«
Annika holte ihre Regenjacke und die Tasche und zog sich auf dem Weg zum Fahrstuhl an. Dann fuhr sie hinunter, den Kopf voller Eindrücke, aber doch auch seltsam leer, keine zusammenhängenden Gedanken, nur Worte, die ihr durch den Kopf schwirrten.
Die Hotellobby war voller Leute, aber Berit Hamrin begriff sofort, wer der Tourneeleiter von John Essex sein musste. Er stand vor dem offenen Kamin und trat von einem Fuß auf den anderen, in der Hand schwenkte er eine Flasche französisches Mineralwasser. Italienischer Anzug, der ein wenig über dem Bauch spannte. Armani war einfach für Athleten gemacht und nicht für Geschäftsleute.
Berit eilte zu ihm, der Mann ignorierte sie.
»Das ist wirklich nett, dass Sie Zeit für mich haben«, sagte Berit, gab ihm die Hand und lächelte freundlich.
Der Mann wandte sich ihr zu, und sein Gesichtsausdruck verriet ungeniert eine Mischung aus Ärger und Verachtung.
Er ließ den Blick rasch über ihren Körper wandern, eine Frau mittleren Alters, das machte sie als Menschen zur Null.
»Ich weiß nur nicht, wofür das gut sein soll«, sagte er und sah zum Ausgang, als sei er schon wieder auf dem Sprung.
Berit nahm das Kinn ein wenig hoch und begriff durchaus, dass der Tourneeleiter versuchte, ihr Selbstwertgefühl dadurch zu untergraben, dass er sie wie ein aufdringliches Subjekt behandelte. »Können wir uns irgendwo setzen und ungestört reden?«, fragte sie.
Er antwortete nicht, sondern warf sich in ein Ledersofa neben dem Kamin und stellte die Wasserflasche auf den Fußboden. Berit umrundete eine Gruppe deutscher Geschäftsleute und setzte sich neben ihn. Sie legte eine rosafarbene Mappe vor ihn auf den Glastisch, ließ sie aber ungeöffnet. Menschen mit gedämpften Stimmen und schwingenden Aktentaschen glitten dicht an ihnen vorbei.
»Ich arbeite bei einer Tageszeitung, die sich in einer abwärts zeigenden Spirale befindet«, sagte Berit. »Die Auflage sinkt, die Anzeigenkunden werden weniger, die finanziellen Grundlagen schwinden, was dazu führt, dass die guten Leute abspringen und die journalistische Qualität leidet. Die Leitung der Zeitung ist sehr darauf bedacht, diese Entwicklung umzukehren.«
Der Tourneeleiter wollte wieder aufstehen, denn es interessierte ihn nun wirklich nicht, welche Probleme irgendeine Zeitung am Nordpol hatte.
»Deshalb«, fuhr Berit ernst fort, »ist es sehr wichtig, dass wir unsere Situation gründlich besprechen. Ich möchte gern, dass das alles
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