Prime Time
Dürfen die das, einfach so? Brauchen die dafür keine Genehmigung?«
Irgendetwas nagte an der jungen Frau, sie rang die Hände, fuhr sich durch das Haar, stampfte mit den Füßen.
»Ich glaube nicht, dass sie eine Genehmigung brauchen«, sagte Annika. »Michelle war schließlich ihre Mitarbeiterin.«
»Ein geschmackloses Tamtam, das werden sie machen. TV-Plus und Sebastian haben sie schon ausgenutzt und schikaniert, als sie noch lebte, und jetzt, wo sie tot ist, werden sie noch den Rest aus ihrer Berühmtheit heraussaugen.«
Bambi Rosenbergs Pupillen waren vergrößert und nahmen fast die ganze Iris ein. Sie leckte sich über die Lippen und rieb sich das Gesicht.
»Das stimmt nicht ganz«, sagte Annika. »Das Fernsehen und Sebastian Follin waren schließlich die Voraussetzung dafür, dass sie so erfolgreich war.«
Bambi kam ganz dicht an sie heran, ihr Atem war stechend.
»Das Einzige, was Michelle wollte, war, die Erwartungen der Leute zu erfüllen. Sie ist nie gefragt worden, was sie wollte und wonach sie eigentlich strebte.«
»Man hat sie also gezwungen, ein Fernsehstar zu werden?«
Annika hörte die Überheblichkeit in ihrer eigenen Stimme.
»Natürlich nicht«, gab Bambi Rosenberg zu. »Michelle war sich bewusst, was sie tat, und die meiste Zeit hat sie ihren Entschluss sicher nicht bereut. Aber man kann sich ja alles mögliche vormachen. Das ist das Beste für mich, denn dann werde ich berühmt und beliebt und reich, und das muss doch das Beste im Leben sein, oder?«
»Sie meinen, das ist eine Lüge?«
Die Schauspielerin schluchzte.
»Natürlich ist es das. Menschen sind doch das Einzige, was wirklich zählt. Liebe und Beziehungen.«
Annika wurde wütend und verzog den Mund, erkannte jedoch, dass sie irrational reagierte. Mit welchem Recht verurteilte sie die Wahrheiten, die Bambi Rosenberg aussprach, als selbstverständliche Binsenweisheiten?
»Wie haben Sie Michelle eigentlich kennen gelernt?«, fragte sie und versuchte, ihre Vermessenheit im Zaum zu halten.
Die junge Frau antwortete tonlos.
»Am Playa de las Americas. Wir waren beide allein in Urlaub gefahren, aber ich war schon eine Woche länger da.
Ich fand Michelle einfach nett, obwohl sie ziemlich traurig aussah.«
Bambi hielt inne und sah Annika an.
»Das war, bevor sie berühmt wurde.«
Annika nickte und bemühte sich, aufmunternd auszusehen.
»Und dann wurden Sie Freundinnen?«
Bambi Rosenberg nickte ebenfalls.
»Wir hatten irgendwie dieselben Träume. Wir wollten was aus unserem Leben machen. Als wir wieder zurück waren, kriegte Michi den Job bei Zero, und ich bekam einen Vertrag als Model und später als Schauspielerin. So gesehen kann man sagen, dass wir dieselbe Richtung einschlugen.«
»Und wie war sie so?«
»Unheimlich nett. Sie wollte wirklich Leuten helfen, die es schwer hatten. Wenn sie irgendwelche armen Kinder im Fernsehen sah, musste sie weinen. Sie unterschrieb alle Aufrufe für Flüchtlingskinder, die von der Ausweisung bedroht waren. Und ich auch.«
Halleluja, dachte Annika, und beschloss, dem Mädchen ein wenig auf den Zahn zu fühlen.
»Sie fanden es also ganz toll, dass Michelle so berühmt wurde, während Sie nur in Soaps spielten?«
Bambis Augen wurden riesig.
»Natürlich! Supertoll! Michi war halt Journalistin, und ich bin Schauspielerin. Politik und so was interessiert mich nicht, ich stelle gern die Gefühle von Menschen dar. Wir haben einander geholfen.«
»Brauchte Michelle denn Hilfe? Von Ihnen?«
»Michi brauchte unheimlich viel Hilfe, sie brauchte jemanden, der sich um sie kümmerte. Der zuhörte und über ganz normale Sachen redete. Sie hat mich oft um vier Uhr morgens angerufen, wenn sie nicht schlafen konnte. Dann musste sie reden, weil sie so einsam war. Jetzt bin ich diejenige, die einsam ist.«
Bambi Rosenberg nestelte aus der Innentasche ihrer Jacke ein Taschentuch heraus, schnäuzte sich und stolperte dann zur Bank an der Bushaltestelle.
Annika sah sich um und horchte ins Industriegebiet.
Kein Bus.
»Also, berühmt und beliebt und reich war sie ja schon«, meinte Annika, ging zur Bank, setzte sich neben Bambi und trat nach einem Löwenzahn, der sich durch den Asphalt gebohrt hatte. »Aber hatte sie denn das andere? Die Liebe und die menschlichen Beziehungen?«
»Ab und zu schon«, sagte Bambi Rosenberg, warf ihr Haar zurück und steckte das Taschentuch wieder ein. »Aber mit echten Freunden war es natürlich schwierig. Einige von ihren Kumpels ließen sie im Stich, als sie
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