Prime Time
überhaupt etwas zustande zu bringen, wenn man andauernd in den Zeitungen zu sehen ist. Man wird zerrissen. Man wird zum allgemeinen Eigentum, und das ist anstrengend, ich kann es nicht anders erklären, es ist, als würden Teile der eigenen Person zerhackt und in alle Winde verstreut. Es ist dann sehr schwer, sich zu konzentrieren und irgendetwas fertig zu bringen.«
Annika suchte nach Anne Snapphane, konnte sie aber nirgends entdecken.
»Michelle hat so viel Schlimmes mit den Medien erlebt«, sagte Annika, »das muss schrecklich gewesen sein.«
Karin fischte ein Päckchen Zigaretten aus den Falten ihres Kleides und drückte nachdenklich auf dem Inhalt herum.
»Man muss Tratsch und üble Gerüchte für das nehmen, was sie eigentlich sind: Unterhaltung. Das, was der eine als eine unerträgliche Verunglimpfung empfindet, ist für alle anderen nur eine kleine Wirklichkeitsflucht beim Friseur. Man darf diesen Blickwinkel nicht verlieren. Natürlich kann Tratsch trotzdem wehtun. Die Familie ist die Achillesferse für alle Prominenten. Alle Schläge in diese Richtung sind vernichtend.«
»Aber die Familie wird auch am häufigsten missbraucht, wenn es darum geht, unangenehmer Aufmerksamkeit zu entfliehen«, entgegnete Annika.
»Na ja«, sagte Karin Bellhorn und steckte sich eine Zigarette zwischen die Lippen, »eigentlich nicht. Alle negative Aufmerksamkeit betrifft immer auch die Familie. Es gibt immer irgendeine alte Mutter oder irgendwelche armen Kinder, die leiden. Und jede Lügengeschichte enthält ein Körnchen Wahrheit. Möchten Sie noch etwas Kaffee?«
Annika schüttelte den Kopf.
»Kommen Sie doch mit ins Raucherzimmer«, sagte Karin und bahnte sich einen Weg durch die Redaktion.
Annika folgte ihr im Schlepptau durch den Raum zu einem völlig verräucherten Zimmer mit Aussicht über das halb fertige Victoriastadion.
»Glauben Sie, dass die das rechtzeitig schaffen?«, fragte Annika und nickte zum Olympiastadion hinüber.
»Natürlich«, sagte Karin Bellhorn und sog den Rauch ein, dass es in ihrer Luftröhre piepte. »Es sind doch noch drei Jahre.«
Annika schwieg, sie wusste nicht genau, was die Produzentin von ihr wollte und was ihre Rolle war. Von unerwünscht bis vertraut in null Komma nichts. Sie besah sich das Profil der Frau, die Falten um den Mund, die nikotinfleckigen Finger, die an ihrem Kinn spielten. Das graue Tageslicht, das durch das Fenster fiel, verlieh ihrer Haut eine unwirkliche Farbe.
»Macht Ihnen Ihre Arbeit Spaß?«, fragte Annika.
Karin Bellhorn zuckte mit den Schultern und sah weiter in die Ferne.
»Wir versuchen, irgendetwas Vernünftiges zustande zu bringen«, sagte sie. »Wir versuchen die Gesellschaft aus einer weiblichen Perspektive zu spiegeln, und das ist nicht das Schlechteste.«
»Obwohl Sie auch den Bedingungen des Marktes unterworfen sind«, entgegnete Annika.
»Darüber sollten wir trotz allem froh sein«, sagte Karin und strich die Asche in eine Schale mit Sand ab. »Sonst hätte es niemals eine Sendung gegeben, die sich an ein junges weibliches Publikum richtet. Man muss die Konsumenten diesseits der Dreißig einfangen, danach wechseln die Gewohnheiten und Kaufmuster nicht mehr so stark. Frauen stehen für den größeren Teil des Einkaufs in den Haushalten, und deshalb richtet sich die Fernsehwerbung an sie. Schauen Sie sich mal die großen Sender an, die sind voll von solchen Normen.«
Annika lächelte, weiße heterosexuelle Männer mittleren Alters mit Auto und geregeltem Einkommen waren in den Debatten der vergangenen Jahre ermittelt und kategorisiert worden, was einige von ihnen wütend gemacht hatte. Sie waren es gewohnt, die Bedingungen für das Menschliche zu definieren; und dann plötzlich als Sonderform eingeordnet zu werden kränkte sie.
»Stimmt«, meinte Annika. »Auf der anderen Seite sind die kommerziellen Sendungen doch nur dazu da, die leeren Räume zwischen den Werbeblöcken zu füllen.«
»Das ist Quatsch«, sagte Karin Bellhorn. »Solange wir die Möglichkeit haben, etwas Vernünftiges mit der Zeit anzufangen, die man uns zur Verfügung stellt, werden wir das tun. Außerdem schaffen wir Arbeitsplätze für Frauen, sowohl vor als auch hinter der Kamera.«
»Wenn ich es richtig verstanden habe, geht das auch nicht immer ohne Probleme ab, oder?«, fragte Annika. »Mariana von Berlitz und Michelle hatten ja wohl kein sehr gutes Verhältnis zueinander.«
»Eher ein schlechtes«, sagte Karin Bellhorn kurz angebunden, drückte die Zigarette aus
Weitere Kostenlose Bücher