Prime Time
erstaunt an, als das Fahrzeug wieder geradeaus fuhr.
»Sind Sie nicht die, die immer im Fernsehen ist?«, fragte der Mann und lächelte breit mit gelben Zähnen.
Annika versuchte zurückzulächeln und gleichzeitig ein plötzliches Bremsmanöver an der nächsten Kreuzung abzufangen. »Nein«, sagte sie. »Da täuschen Sie sich.«
»Aber«, sagte der Mann, »ich erkenne Sie doch. Sie sitzen immer auf diesem Sofa mit den Frauen.«
Annika holte tief Luft und schaute zum Gullmarsplan hinaus.
»Tut mir Leid«, wiederholte sie und nahm ihre Tasche, um zu zeigen, dass sie bald aussteigen würde.
Das Lächeln des Mannes erstarb, er murmelte etwas Unverständliches und bewegte seine Beine einen Millimeter, um ihr zu bedeuten, dass sie über ihn hinwegsteigen sollte, was sie wahnsinnig wütend machte.
»Was glauben Sie eigentlich? Stehen Sie sofort auf, damit ich rauskomme«, sagte sie aggressiv und laut.
Der Mann riss erschrocken die Augen auf und stand verblüfft auf.
Sie stieg an der hinteren Tür aus. Eine Bö riss an der Jacke, fand den Weg unter den Pullover und machte ihren Bauch nass. Annika spürte, dass sie eine Gänsehaut bekam. Dann schaute sie zur Glasfassade der U-Bahn hinauf und zur roten Stahlkonstruktion, die das schützende Glasdach der Eingangstüren trug. Sie wollte nicht hineingehen. Sie wollte nicht zur Zeitung fahren.
Stattdessen ging sie zum Kiosk, stellte sich in den Windschatten und holte ihr Handy heraus. Sie rief bei der Auskunft an und ließ sich die Nummer von Global Future geben. Während es klingelte, atmete sie schwer und tief.
»Ich würde gern mit jemandem sprechen, der für Investor Relations zuständig ist«, sagte sie zu der Frau an der Zentrale.
»So jemanden haben wir hier nicht mehr«, sagte die Telefonistin am anderen Ende.
Annika stellte sich woanders hm, damit eine Frau mit einer Gehhilfe aus dem Laden konnte.
»Wen dann?«, fragte sie und sah sich suchend nach einem besseren Platz um, wo sie in Ruhe reden könnte. »Wer kümmert sich um die Investoren und ihre Geschäfte?«
Die Frau kicherte.
»Niemand.«
Rechts von ihr, vor dem Reformhaus, gab es eine Treppe.
»Und der Geschäftsführer?«
»Der hat vorige Woche die Kündigung bekommen.«
Annika ging rasch die paar Schritte zu der Treppe, lief sie hinunter und blieb dann auf dem Absatz in der Mitte stehen.
Hier war sie vor dem Regen geschützt.
»Dann sind von der ganzen Firma nur noch Sie übrig?«, fragte sie.
»Im Grunde ja«, sagte die Frau. »Was wollen Sie wissen?«
Es roch nach Urin und feuchtem Beton. Annika schluckte und nahm Anlauf.
»Ich habe eine Frage zu Ihrer Wertpapieranalyse. Die Wertpapierzentrale, müssen Sie wissen …«
»Darum kümmere ich mich jetzt«, sagte die Frau. »Da können Sie sich ausmalen, wie weit diese Arbeit in der Prioritätenliste nach unten gerutscht ist. Wir kriegen, wenn man so will, keine sonderlich erheiternden Bescheide mehr.«
Annika versetzte ein paar verbeulten Coladosen und einer leeren Flasche Trinkjoghurt einen Tritt und sah auf die Gleise unter sich.
»Wie viel ist denn so eine Aktie heute wert?«
»Als ich den Kurs vor einer halben Stunde abgerufen habe, lagen wir bei 38:50.«
»Das ist ziemlich mies«, sagte Annika, »oder?«
Die Frau am anderen Ende lachte resigniert.
»Sie sind nicht gerade ein Finanzhai.«
Auf dem gegenüberliegenden Gleis fuhr ein Zug ein, die Bremsen quietschten.
»Stimmt«, sagte Annika. »Ich bin kein schlauer Anleger, aber es gibt ja andere, die zumindest so tun, als wären sie es.
Zum Beispiel Leute, die Firmen wie Ihre in den Ruin getrieben haben. Ich bin gerade dabei, so eine Sache zu recherchieren.«
»Was wollen Sie denn wissen?«, fragte die Frau in der Zentrale von Global Future, die sowohl für die Investor Relations als auch für den Rest des Ladens verantwortlich war.
Die Leute aus den südlichen Vororten hasteten aus den blauen Metallwaggons und strömten in einer grauen und nassen Masse an ihr vorbei. Annika kehrte ihnen den Rücken zu.
»Das Datum eines bestimmten Besitzerwechsels«, sagte sie leise.
»So etwas kann ich nicht rausgeben«, antwortete die Frau.
»Ich weiß«, sagte Annika. »Ich bitte Sie auch nicht darum.
Ich wollte es Ihnen nur erzählen, für den Fall, dass Sie selbst mal nachschauen wollen.«
In der Leitung wurde es still. An einem Bahnsteig rechts von ihr fuhr ein Zug ein und ließ den Beton vibrieren.
»Worum geht es denn.«
»Ein Insidergeschäft. Aber niemand aus Ihrer
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