Prime Time
Veröffentlichung des Halbjahresberichtes«, sagte Annika Bengtzon. »Hören Sie mal, ich habe die Adresse von der Neonazifrau bekommen, und ich möchte sie gern aufsuchen, ist das okay?«
Schlussfolgerungen waren nicht mehr möglich, der Stecker war raus.
»Am 19.? Am 19. Juli? Stimmt das?«
»Yes. Es war Urlaubszeit, was die Registrierung vielleicht noch einen weiteren Tag verzögert haben könnte, aber der Verkauf hat jedenfalls spätestens am 19. Juli stattgefunden.«
Erleichterung machte sich in seinem Körper breit, und er keuchte auf.
»Und Sie sind ganz sicher?«
»So sicher wie möglich. Die Neonazifrau?«
»Was?«
»Darf ich zu Hannah Persson nach Katrineholm fahren? Sie ist heute Morgen entlassen worden. Das sind nur 56 Minuten mit dem Schnellzug, und dann ein kleines Gespräch über Leben und Tod.«
Er hätte sie auch nach Hawaii geschickt.
»Fahren Sie«, sagte er.
Dann saß er in der Stille da, während die Freude ihn fast zerriss. Dieser Sack! Er war sich wohl sehr schlau vorgekommen, oder war er nur feige? Schyman konnte sich nicht entscheiden.
Wahrscheinlich würde er nie genau herausfinden, was zutraf.
Er angelte nach dem Telefon und wählte die Durchwahl des Produzenten und Moderators des besten politischen Magazins im schwedischen Fernsehen.
»Mehmed? Ja, hallo, mir geht’s gut, danke, scheußliche Geschichte, das mit Michelle Carlsson. Nein, deshalb rufe ich nicht an, ich hätte da was für dich, können wir uns mal treffen? In einer halben Stunde?«
Anders Schyman machte eine rasche, jetzt wieder ganz kraftvolle Geste mit dem linken Arm und warf einen raschen Blick auf die Armbanduhr.
»Ausgezeichnet.«
Anne Snapphane seufzte noch einmal aus tiefstem Herzen.
Wie in aller Welt sollte sie es schaffen, diesen ganzen Kram vor dem Wochenende durchzugehen? Selbst wenn sie alles ganz schnell durchspulte, würde der Durchlauf mehr Zeit in Anspruch nehmen, als die Woche Stunden hatte.
Ein Betaband schlug an, sie schrieb den Aufkleber und wechselte gleichzeitig das Band.
Und wenn sie Miranda bei sich hatte, konnte sie sich hier auch nicht die Nächte um die Ohren schlagen.
Sie drückte auf Play, diesmal ein Masterband für Sendung Nummer zwei, eine der schlechteren. Michelle war okay, aber die Gäste reichten nicht an das übliche Niveau heran.
Als sie festgestellt hatte, um welche Produktion es sich handelte, spulte sie vor. Wie im Schlaf sah sie, wie die Figuren sich durch die Sendung rappten, hörte die Stimmen nahezu unverständlich im Falsett piepsen.
Sie wusste, dass es überhaupt keinen Sinn hatte, sich zu beschweren. In der Hierarchie stand sie ganz unten und wurde als austauschbar und verzichtbar eingestuft. Wenn sie etwas über die Unmöglichkeit ihrer Arbeitsaufgaben verlauten lassen würde, gäbe es in der nächsten Produktion keinen Platz mehr für sie.
Bei Michelle war es anders gewesen. Sie hatte die erstaunlichsten Forderungen gestellt, und alle akzeptierten sie, buckelten und schleimten.
Michelle konnte mit der grünen Hintergrunddeko nichts anfangen, das kam ihr einfach zu stickig vor, nahm ihr alle Luft. Sie wollte etwas Luftigeres haben, vielleicht Blau oder Gelb.
Dann wurde die Deko ausgetauscht, und Michelle hatte in dem Bühnenbildner einen neuen Feind gewonnen.
Es klopfte.
Sie sah erstaunt auf. Gunnar Antonsson stand in der Tür und streckte seinen Kopf über die Müllsäcke.
»Hallo«, sagte Anne. »Komm doch rein, wenn du den Weg findest.«
Der graue Kopf des Mannes tauchte hinter den Monitoren ab, und als er in den Schneideraum kletterte, war sein Gesicht rot vor Anstrengung.
»Ah«, sagte er, »hier sitzt du also.«
»Ja, kann man wohl sagen«, meinte sie und zuckte mit den Achseln. »Glaubst du, dass ich je fertig werde?«
»Das wird man immer«, tröstete Gunnar Antonsson und setzte sich auf einen Archivschrank. »Hauptsache, man macht alles ordentlich.«
Anne lächelte. Ihre Augen waren rot, und sie war müde.
Den Hang zur Genauigkeit hatte sie mit Gunnar gemeinsam, dem Mann, der nie schlampig war.
»Weißt du was«, sagte er, »ich habe über was nachgedacht.«
Etwas in seiner Stimme ließ Anne Snapphane aufhorchen.
Sie sah ihn aufmerksam an, die Schatten unter seinen Augen, die geröteten Wangen.
»Als ihr mich geweckt habt«, sagte er, und Anne wusste sofort, von welchem Wecken er sprach, das würden sie von jetzt an immer mit sich tragen. »Wer hat da eigentlich an die Tür geklopft?« Das Adrenalin schoss ihr in den Kopf und
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