Prime Time
schräg auf den Asphalt. Außer den Autos von Bertil Strand und Berit war der Parkplatz leer. An der Tankstelle auf der anderen Straßenseite sah sie ein paar junge Männer stehen und miteinander reden. Sie betrachtete sie ein paar Sekunden mit gemischten Gefühlen. Alle Schüler aus Hälleforsnäs waren im Gymnasium mit dem Bus in die Stenhammars-Schule in Flen gekarrt worden, wo man sie immer wie die Bauern vom Lande behandelt hatte. Das Gefühl der Unterlegenheit saß immer noch tief in ihr, wenn sie in Flen Leuten ihres Jahrgangs begegnete. Sie meinte, zumindest zwei der Jungs wiederzuerkennen.
Doch im nächsten Augenblick sah sie ein, dass die Männer zehn Jahre jünger sein mussten als sie selbst.
Großer Gott, durchfuhr es sie, ich werde alt.
»Soll ich dir was holen? Ein Schnitzel oder ein Schnitzel?«
Annika lächelte.
»Mit Bratkartoffeln?«
»Ja. Oder mit Bratkartoffeln«, meinte Berit. »Geh nur rauf, du hast Zimmer drei. Der Schlüssel steckt. Ich bin in eins, Bertil in vier.«
Das Zimmer war ebenso trist wie die Speisekarte, aber aus der Dusche kam warmes Wasser. Sie hatte sich gerade wieder angezogen, als Berit mit dem Tablett reinkam.
»Voilà, Mademoiselle«, sagte Berit und stellte das Essen auf den einen Nachttisch. »Denn Sie sind ja wohl noch Fräulein, oder?«
Annika verdrehte die Augen und stürzte sich auf das zähe Stück Fleisch.
»Ich habe mit Schyman und Spiken geredet«, berichtete Berit, während Annika hastig kaute. »Wir haben beschlossen, dass wir so viel wie möglich zwischen dir und mir aufteilen.
In Stockholm sind ein paar Reporter unterwegs, aber das sind Volontäre, die ziemlich grün hinter den Ohren sind. Stimmt es, dass John Essex da war?«
Annika trank in großen Zügen von der Cola und erinnerte sich an ihre eigene frustrierende Zeit als Volontärin, während deren man nichts zählte und ebenso wenig taugte.
»Yes Sir«, erwiderte sie.
»Die Leute von der Unterhaltungsseite sind offenbar am Rotieren. Die jagen in ganz Europa nach Kommentaren von seiner Crew, das heißt, die kommen allein klar. Lass mal sehen …«
Berit hakte Punkte auf einer Liste ab.
»Ich habe alle Artikel über Michelle aus dem Archiv bestellt, sie sind hierher unterwegs. Abgesehen von den Polizeisachen müssen wir eine Michelle-Carlsson-Story bringen, von der Wiege bis zur Bahre.«
»Vom armen Vorortmädchen zu Schwedens größtem Fernsehstar«, murmelte Annika mit vollem Mund. »Dann darunter: ›Ihr Leben war wie ein trauriges Märchen‹.«
Berit lächelte.
»Und dann haben wir die Tat selbst. ›Ein Stern erlischt, der Mord an Michelle Carlsson schockiert die Unterhaltungsbranche Schwedens.‹ Die Jagd nach dem Mörder, die Spuren der Ermittler, wie konnte so etwas passieren und all das.«
»Kann ich machen«, sagte Annika und versuchte, sich ein Stück Sehne aus den Backenzähnen zu pulen. »Die Mordwaffe gehörte einem der Gäste, das bringe ich in den Text ein.«
Berit nickte zustimmend.
»Die letzte Sendung, Informationen über den Verlauf, die Aufnahmen, alle Gäste – weißt du davon was?«
»Ziemlich wenig, aber das ist kein Problem. Darüber müsste es in der Unterhaltungsredaktion Material geben. Und wenn nicht, dann kann die Pressetante bei TV-Plus sicher was zusammenstellen. Können das nicht die von der Unterhaltung machen?«
»Ich frage mal bei Spiken an«, meinte Berit und schrieb mit. »Die wollen auch was über das Schloss selbst haben, sie meinen, du wüsstest alles darüber.«
»Na ja, also alles nicht gerade«, sagte Annika und trank den Rest Cola. »Wie lang?«
»Höchstens zweitausend Zeichen. Bei der Polizeijagd kannst du so viel schreiben, wie du willst. Was hast du noch?«
»Die letzte Nacht im Schloss, die zwölf Überlebenden.«
»Genau«, sagte Berit und fuhr mit dem Stift durch die Luft.
»Das ist die größte Sache bis morgen, die und dann John Essex. Sammle alles, was du hast, sei aber vorsichtig mit Formulierungen über Verdächtigungen und Mörder.«
»›So erinnern wir uns an Michelle‹, bekannte Schweden sagen nette und sinnlose Sachen?«
»Das machen die Abendleute in Stockholm«, sagte Berit.
Es klopfte an der Tür, und davor stand die Frau von der Rezeption mit dem ganzen Arm voll Papier.
»Das hier ist per Fax gekommen«, sagte sie und schaute mit großen Augen auf die Schlagzeilen.
Berit befreite sie von dem ganzen Stapel, schlug der Rezeptionistin die Tür vor der neugierigen Nase zu und breitete die Ausschnitte auf dem
Weitere Kostenlose Bücher