Prime Time
Annika und ließ ein Bündel mit Faxpapier auf ihre Knie sinken. »Warum haben wir nur so unglaublich viel über die Frau geschrieben?«
Berit zuckte mit den Schultern, schob ein paar Ausschnitte zusammen und setzte sich aufs Bett. Die Zeitungsartikel rutschten ihr unter den Po und gerieten in Unordnung.
»Durch sie haben wir Zeitungen verkauft. Alle kannten sie, und zu Anfang verhielt sie sich auch gern offen und anders als die anderen. Sie ließ sich nackt und mit Goldfarbe angemalt für den Umschlag der Beilage fotografieren. Sie erzählte, wie sie ihre Unschuld verlor und von irgendwelchen lesbischen Erfahrungen, die sie auf dem Gymnasium gemacht hatte. Als sie sich das Bein gebrochen hatte, ließ sie uns eine Reportage über sie im Krankenbett machen und solche Sachen, weißt du.«
»Aber das blieb nicht so«, stellte Annika fest.
»Nein«, meinte Berit und durchsuchte den Papierstapel.
»Irgendwann fing Michelle an, komisch zu werden, was sie noch interessanter machte. Jetzt war sie plötzlich der ›Star in Schwierigkeiten‹, das wurde der neue Ton der Aushänger.
Jeder Mensch, der auch nur einen negativen Satz über Michelle Carlsson zu sagen hatte, bekam eine Headline, und Michelle war gezwungen, darauf zu antworten. Du sitzt, glaube ich, auf einem der Artikel, genau, der da …«
Annika zog sich einen Zettel unter dem Knie heraus und überflog ihn rasch. Der Moderator eines Konkurrenzsenders stürzte sich auf Michelle Carlsson und behauptete, sie sei ein einziger Flop. Eine Million Schweden würden ebenso gut im Fernsehen Fragen stellen können wie sie, meinte er, aber nur einer könnte fragen wie er.
»Was für ein Riesenarschloch«, sagte Annika und betrachtete das Foto des selbstverliebten sonnengebräunten Typen.
»Das hier sind die Artikel, für die wir verklagt worden sind«, sagte Berit und hielt einen Stapel hoch, der neben dem Bett gelegen hatte. »Die müssen wir uns etwas gründlicher durchlesen, damit wir wissen, was wir nicht sagen dürfen.«
Annika betrachtete die Schlagzeilen, die so groß waren, als würden sie einen neuen Weltkrieg ankündigen.
»Michelle Carlsson – eine Betrügerin?«, schrie es von der ganzen ersten Seite. Das Bild, das den Artikel ergänzte, zeigte Michelle Carlsson auf einem Passfoto, das mindestens zehn Jahre alt gewesen sein musste. Sie starrte ängstlich in die Kamera, war stark geschminkt und hatte eine wenig kleidsame und unmoderne Frisur. Annika fand, dass sie wie eine Autodiebin aussah.
Im Innenteil erstreckten sich die Artikel über acht Seiten.
Carl Wennergren hatte sie geschrieben.
»Vom gefeierten Star zur Wirtschaftsbetrügerin – Michelles Weg vom Fernsehstar zum Gerichtssaal«, lautete die kreative Überschrift.
Man behauptete, Michelle Carlsson sei Gegenstand von Ermittlungen über eine große Briefkastenfirma mit einer Reihe von Aktiengesellschaften. Ihre Firma gehörte angeblich zu denen, die von einer Gruppe Firmenplünderer, die von der Polizei als die »geschicktesten Verbrecher Schwedens« bezeichnet wurden, aufgekauft und ausgeschlachtet worden waren. Michelle wurde bezichtigt, die Gruppe benutzt zu haben, um Steuern zu hinterziehen.
Angeblich hatte sie so zwölf Millionen Kronen verdient und stand wegen Mittäterschaft an einem Wirtschaftsverbrechen unter Verdacht. Ein Kommissar im Dezernat für Wirtschaftskriminalität bekräftigte die Geschichte in der Sache, wies aber daraufhin, dass gegen die Besitzerin der Firma noch keine Anklage erhoben worden sei. Die Klage werde nicht vor Ende der Woche erwartet.
Die nächste Seite wurde von einer komplizierten Grafik beherrscht, die zeigen sollte, wie die Geschäfte und Transaktionen vor sich gegangen waren. Annika schaute und las, begriff aber im Grunde kein Wort.
In der nächsten Spalte äußerten sich schwedische Prominente empört über die Gier von Michelle Carlsson, die doch als Fernsehstar ein Vorbild für junge Frauen sein sollte.
Selbst wenn sie nicht wegen eines Verbrechens verurteilt werde, müsse es doch als verwerflich angesehen werden, Schlupflöcher in der Steuergesetzgebung auszunutzen – so der allgemeine Tenor.
Auf der letzten Seite wurde Michelle Carlsson zu den Vorwürfen befragt. Die Bilder von ihr waren aus der Froschperspektive aufgenommen und ließen sie riesig und grotesk erscheinen.
»Ich weiß überhaupt nicht, wovon Sie reden«, soll Michelle laut Carl Wennergren geantwortet haben.
Die Fragen waren fett gedruckt und nahmen so den größten Teil des
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