Prime Time
Doppelbett aus.
»Schyman will, dass wir uns das hier ansehen, ehe wir anfangen«, sagte sie.
»Du meine Güte«, meinte Annika. »Haben wir so viel über sie geschrieben?«
»Wo warst du denn während der letzten Jahre?«, fragte Berit. »In der Breiabteilung«, erwiderte Annika und nahm einen Artikel aus dem Haufen. Er war ungefähr ein Jahr alt und handelte von Michelle Carlssons spektakulärem Wechsel vom volkstümlichen Kanal im öffentlich-rechtlichen Netz zu dem groß investierenden Kabelkanal TV-Plus. Michelle war überglücklich und freute sich darauf, ihre neuen Kollegen kennen zu lernen. Auf dem fröhlichen Bild, das den Artikel illustrierte, wurde Michelle von ihrem Manager Sebastian Follin umarmt, der den Rekordvertrag ausgehandelt hatte.
Annika nahm einen weiteren Artikel in die Hand, den man geschrieben hatte, nachdem Michelle fünfzehn Wochen hintereinander die Nummer eins in der Zuschauergunst gewesen war. Berit breitete die Seiten aus, die älteren Artikel und Notizen auf der Bettdecke, und die neuen auf dem Fußboden, wo sie bald Flecken von Schmutz und Feuchtigkeit aus Schuhen und Taschen bekamen.
Annika blieb bei einer kleinen Notiz mit den Fakten zu Michelle Carlssons Leben hängen.
In Weißrussland geboren, lettische Mutter, schwedischer Vater. Beim Vater, einem Ölförderer, aufgewachsen, nach dessen Tod zeitweilig in Waisenhäusern. Gymnasium in Växjö, dann im Fremdenverkehrsamt in Jönköping. Isst Japanisch, trinkt gern Wein, interessiert sich für Yoga und Wassersport. Als neue Moderatorin für die
Frauencouch
im Gespräch.
»Wusstest du, dass sie Ausländerin war?«, fragte Annika.
»So kann man das eigentlich nicht nennen, oder?«, erwiderte Berit. »Sie hat seit ihrem dritten Lebensjahr hier gelebt. Kannst du mir mal diesen Haufen da geben?«
Annika reichte ihr den Stapel hinüber, setzte sich wieder hin und überflog die Artikel. Diejenigen, die älter als ein Jahr waren, schienen ganz allgemein über ihre Erfolge, Preise, Listenplätze und gemäßigten Klatsch zu berichten. Nachdem sie den Sender gewechselt hatte, änderte sich der Ton. Die Sendung von Michelle erreichte angeblich längst nicht die Quoten, die man sich bei TV-Plus erhofft hatte. Anonyme Quellen aus der Führungsetage des Senders berichteten von Verlusten in Millionenhöhe und von sinkenden Zuschauerzahlen. Der Star selbst wurde mit einem Mal für alles kritisiert, was man früher an ihm gelobt hatte. Anfangs wurde Michelle als »natürlich« beschrieben, heute hieß es »sie schmeichelt sich ein«. Aus »charmant« wurde »blöd«, und »entspannt« hieß jetzt »schlampig«. Eine Gewerkschaft stürzte sich auf sie, weil sie kein Geld dafür nahm, dass sie an Spielsendungen im Radio und Fernsehen teilnahm. »Wir verstehen ja, dass sie kein Geld braucht«, sagte ein Typ von der Gewerkschaft, »aber sie ruiniert den Markt für alle anderen.« Der nächste Ausschnitt handelte davon, dass ein Radiosender Michelle dafür beschimpfte, dass sie für ihre Mitarbeit an einer Sendung fünfhundert Kronen für ein Halbjahr berechnet hatte. »Die Gier mancher Leute ist wirklich grenzenlos«, sagte der Radiomann.
»Man kann sich drehen, wie man will, der Hintern ist doch immer hinten«, sagte Annika.
»Warte ab, bis du zu den Glossen kommst«, meinte Berit.
Barbara Hanson, die jeden Tag in der Zeitung eine Glosse schrieb, hatte ungeheure Mengen an Papier dafür verschwendet, Michelle Carlsson zu verfolgen. Sie verlangte, dass Michelle als Moderatorin zurücktrat, als wäre sie eine vom Volk gewählte Politikerin. Sie beschuldigte Michelle der Steuerhinterziehung, obwohl die Informationen, die sie hatte, schlichtweg falsch waren. Sie kritisierte ihr Aussehen, ihre Aussprache, ihr Gehalt, ihre Moral, ihre Kompetenz und ihre Beziehungen.
Die kollektiven Schmähungen begannen jedoch erst, als Michelle eine gesellschaftskritische Talkshow übernahm, was die Fernsehkritiker lächerlich fanden. Als die Sendung nach nur fünf Mal wieder eingestellt wurde, schlug die Schadenfreude hohe Wellen. »Michelles Fiasko« stand neben »der Fall der Fernsehkönigin«, und dazu gab es ein nettes Werbefoto von ihr mit der Unterzeile »Schwedens schlechtestes Geschäft«. Der Highlander äußerte sich in dem Artikel, man betrachte den Einkauf von Michelle Carlsson als eine langfristige Investition, die binnen eines Jahres neue Zuschauerzahlen in den richtigen Zielgruppen bringen würde.
»Das ist doch alles nicht normal«, stöhnte
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