Prime Time
worden …«
»Sind Sie da sicher?«, unterbrach sie der Redaktionschef.
»Ja. Und dann liste ich sie einfach auf. Haben wir inzwischen Bilder von allen?«
»Von dem Mädchen in Katrineholm noch nicht. Sie hat weder einen Pass noch einen Führerschein.«
»Sie fährt aber trotzdem Auto«, sagte Annika gereizt.
»Haben Sie sich die Schulfotos der Duveholms-Schule angesehen? «
»Ich werde mal fragen.«
Es wurde still in der Leitung, und Annikas Kopf surrte vor Müdigkeit.
»Ich habe Wennergren getroffen«, sagte sie und merkte, dass der Redaktionschef erstaunt innehielt.
»Ja, warum haben Sie denn nichts davon gesagt?«, fragte er erstaunt und vorwurfsvoll.
»Weil er sich geweigert hat, mit mir zu reden«, sagte Annika und musste gegen das Zittern in ihrer Stimme ankämpfen. »Er hat gesagt, seine Geschichte würde ihm gehören, und er wüsste nicht, warum er mir eine gute Schlagzeile liefern solle.«
»Vielleicht weil Sie für dieselbe Zeitung arbeiten?«
Annika schluckte. Es traf sie, dass sie so behandelt worden war, und sie war wütend, weil sie immer so nachgiebig war.
»Genau das habe ich auch gesagt.«
Sie schwiegen eine Weile.
»Gute Arbeit«, sagte Schyman schließlich. »Nehmen Sie sich das mit Wennergren nicht so zu Herzen. Sie wissen ja, wie er ist.«
»Und wie lange darf er noch so sein?«, fragte Annika mit kalter Stimme.
Der Redaktionschef machte eine kleine Pause.
»Mailen Sie die Texte direkt an mich.«
Sie legte auf und schloss die Augen. Der Tag tanzte ihr vor den Augen, der Ü-Wagen, der Leichenwagen, der verwüstete Salon, Pia Lakkinens geheuchelte Anteilnahme, Thomas’ verzerrtes Gesicht.
Sie schrieb ihre Artikel fertig, mailte sie, zog sich dann aus, machte alle Lichter aus und kroch ins Bett. Regungslos lag sie in der Dunkelheit und sah zu, wie die Scheinwerfer der Autos über die Wände huschten. Sie hörte sie die 55 herunterfahren, weg von Flen, hinaus in die Welt. Der Schlaf wollte nicht kommen. Die Bilder tanzten immer noch, aber durch die Müdigkeit wurden sie langsamer, und am Ende war nur noch eines da. Sie holte ihr Handy noch einmal heraus, wählte seine Nummer, hörte die Mailbox an und wartete auf den Pfeifton.
»Hallo«, flüsterte sie in die Leere. »Ich liebe dich. Du bist der Beste auf der ganzen Welt.«
SAMSTAG, 23. JUNI
Mittsommer
Der Wald hinter der Jugendherberge war eine Wand aus brüllendem Feuer. Er kämpfte sich durch Luft, die so dick war wie Brei, an Saltströms Hang vorbei zum Laden hinab.
Das Grün hatte eine andere Farbe angenommen, zischte lila in der Hitze, die Kargheit der Landschaft war weggewischt worden, alles war jetzt grob und verzerrt. Die Felsen verbrannten seine Füße, er rannte, zum Meer, zum kühlenden Nass, er wusste, dass die Antwort im Wasser lag. Wenn er es zum Ufer schaffte, würde die Bedrohung schwinden, Gällnö gerettet werden, das Haus wieder auferstehen, das Wasser ihn ruhig machen und abkühlen. Doch als er zum Ufer kam, kochte das Meer. Das brackige Wasser roch nach Schwefel und Asche, es blubberte wie Lava und leckte nach seinen Füßen.
Thomas erwachte mit einem Ruck. Die Sonne schien ihm direkt ins Gesicht und blendete ihn, als er die Augen aufschlug. Sein Haar war schweißnass. Er lag auf dem Wohnzimmersofa seiner Eltern, steif, verspannt und angezogen. An dem Gewicht seiner Füße, die über die Armlehne hingen, merkte er, dass er nicht einmal seine Gummistiefel ausgezogen hatte. Der Traum hing noch wie ein übel riechender Vorhang in seinem Kopf, er schluckte und schmeckte Asche und Feuer.
Igitt, dachte er, igitt.
Er setzte sich auf und glaubte, der Kopf müsste ihm zerspringen. Nie wieder, nie wieder auch nur ein einziges Bier.
Kinderstimmen drangen durch ein offenes Fenster in das Zimmer. Am liebsten hätte er geheult.
Er war ein schlechter Vater.
Bilder huschten durch sein Bewusstsein, kurze Sequenzen, viel zu laut. Er sang, grölte, fiel und bemerkte verschwommen, wie seine Umgebung von ihm abrückte, sah Füße, die sich abwendeten.
»Aha, du bist also aufgewacht«, sagte seine Mutter von der Küchentür her. »Wie gut. Dann kannst du deiner Tochter die Windel wechseln. Sie hat reingemacht.«
Er sah zu seiner Mutter hoch, ihr Gesicht spiegelte den kurz angebundenen Ton wider, die Lippen waren zusammengepresst. Sie setzte ihm Ellen auf den Schoß. Der Gestank, der von der Windel ausging, verschlug ihm den Atem, und er hätte fast gekotzt.
»Ja klar«, sagte er und atmete durch den Mund, aber
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