Prime Time
seine Mutter war schon wieder weg.
Das Mädchen quengelte und wollte sich auf seinem Schoß hinstellen. Er versuchte, sich aus dem Sofa zu hieven, konnte das Gleichgewicht aber nicht halten und musste noch einmal ansetzen. Dann torkelte er zum Badezimmer, auf dem einen Arm das Kind, mit der anderen Hand stützte er sich an der Wand ab, und kickte die Stiefel von den Füßen. Er breitete ein Handtuch auf dem gefliesten Fußboden aus und legte das Kind vorsichtig auf die harte Unterlage. Das Mädchen sah ihn an und lachte.
»Papa«, sagte sie. »Pap-ap-apa.«
Sie tatschte ihm auf die Nase, Thomas lächelte, riss die Klebestreifen hoch und schrak vor dem Gestank zurück. Als er die Windel wegzog, versuchte das Mädchen, sich auf den Bauch zu drehen, und verschmierte die Kacke auf dem Handtuch.
»Ellen, jetzt lieg doch still.«
Er musste ihr Bein festhalten, damit sie sich nicht in den Dreck stellte, das Kind schrie, Schweißtropfen sammelten sich auf seiner Stirn.
»He, meine Süße, jetzt lass mal den Papa …«
Das Mädchen verdrehte das andere Bein und fiel in die volle Windel. Er schloss die Augen und schluckte. Jetzt musste er sie baden.
Resolut stand er auf, griff das Kind um den Bauch, warf die Windel in den Mülleimer unter dem Waschbecken, ging zur Badewanne und drehte das Wasser auf.
Kalt. Er öffnete das Badezimmerfenster. Draußen saß seine Mutter mit Kalle im Garten.
»Mama«, rief er über das Rauschen des Wassers hinweg.
»Es gibt kein warmes Wasser.«
»Dann ist es wahrscheinlich alle«, rief sie über die Schulter zurück. »Eleonor hat geduscht.«
Er blinzelte ein paar Mal, mit dem strampelnden Kind auf dem Arm erstarrt auf dem Badewannenrand sitzend. Eleonor?
Hier?
Ohne weiter darüber nachzudenken, stellte er das Kind unter die Dusche. Das Mädchen schrie aus vollem Hals, als das eiskalte Wasser Bauch und Beine traf, und wand sich wie ein Aal, um loszukommen. Fast wäre sie ihm weggerutscht, der Schweiß lief ihm in die Augen.
Als er Ellen gewaschen und abgetrocknet hatte, sah sie ihn misstrauisch an, als hätte er einen Vertrauensbruch begangen.
Auf seinem Arm wollte sie nicht sein, sondern wackelte los, auf die Veranda hinaus. Er setzte sich auf den Fußboden im Eingang und stützte den Kopf in die Hände. Seine Kehle brannte.
»Thomas!«, rief seine Mutter draußen.
Im nächsten Moment hörte er etwas die Verandatreppe herunterfallen, etwas Kleines und Weiches. Sein ganzer Körper erstarrte, er hörte auf zu atmen.
»O Gott, Ellen, was machst du!«, rief seine Mutter aus.
Ein herzzerreißender Laut drang zu ihm, er schoss hoch, rannte hinaus und sah seine Tochter am Ende der Treppe bäuchlings im Schotter liegen. Seine Mutter eilte schon zu dem Mädchen, sie schwankte auf ihrer kranken Hüfte, und funkelte ihn aufgeregt und wütend an.
»Was machst du denn, Thomas? Kannst du nicht auf das Kind aufpassen?«
Er sprang mit einem Satz die Treppe hinunter, war vor seiner Mutter da und nahm Ellen hoch. Sie hatte sich die Stirn aufgeschlagen, Blut lief ihr in die Augen, und sie weinte so heftig, dass sie keine Luft mehr bekam.
»Tut mir Leid«, flüsterte er, und Tränen der Scham schossen ihm in die Augen, »verzeih mir, mein Liebling, verzeih dem Papa, jetzt hast du dir wehgetan …«
Er pustete und wiegte, das waren ungewohnte Bewegungen für ihn, er genierte sich. Seine Mutter ging ins Badezimmer, um die Wundsalbe zu holen. Über die Schulter des Kindes hinweg sah er Kalle bei Zimtschnecken und Saft traurig und verwirrt auf einer Gartenbank sitzen. Der Junge sah ihn an und ließ daraufhin die Zimtschnecke ins Gras fallen, um von der Bank herunterzuklettern. Als er über die Armlehne stieg, warf er sein Saftglas und die Kaffeetasse seiner Großmutter um.
»Meinst du, das muss genäht werden?«, fragte seine Mutter und hielt eine mit Chlorhexidin getränkte Kompresse gegen Ellens Stirn.
Er nahm die Gaze und tupfte vorsichtig die Wunde ab. Das Kind wollte den Kopf wegdrehen.
»Nein«, sagte er heiser, »es ist nur eine Schürfwunde, nicht tief.« Langsam erstarb das Weinen, nur der kleine Körper wurde noch sachte geschüttelt.
»Papa, ich habe mich hier auch ein wenig gestoßen«, sagte Kalle und streckte Thomas seine von Saft und Hagelzucker klebrige Hand hin.
»Ojemine, dann muss ich da ja auch gleich mal pusten«, sagte er. »Kann ich erst noch ein wenig bei deiner Schwester pusten?«
Der Junge nickte und hielt sich an seinem Hosenbein fest.
»Hallo, Thomas«, sagte
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