Prime Time
anstelle des Hemds trug er ein T-Shirt, und die Jeans hatte er gegen Khakihosen eingetauscht. Sie setzte sich auf den Stuhl, faltete die Hände und versuchte, gesammelt zu wirken.
Der Polizeibeamte drückte auf den Knopf des Kassettenrekorders. Dann betete er erneut seinen Einleitungstext für die Niederschrift des Verhörs herunter: Protokoll des Verhörs mit Snapphane, Anne, durchgeführt von Q, Schloss Yxtaholm, Konferenzraum im neuen Flügel, Samstag, 23. Juni, 12 Uhr 55. Anne Snapphane wird im Rahmen der Ermittlungen zum Mord an Michelle Carlsson verhört. Verhör Nummer drei.
»Die anderen dürfen nach Hause fahren«, sagte Anne, als er fertig war.
»Ich möchte gern noch einmal an den Punkt zurückkehren, wo wir gestern unser Verhör beendet haben«, sagte Q und blätterte in einem Stapel Papiere.
»Warum darf ich nicht nach Hause? Warum muss ich hier bleiben? Werde ich wegen irgendetwas verdächtigt?«
»Wenn Sie meine Fragen beantworten, und zwar in der Reihenfolge, in der ich sie stelle, dann können Sie vielleicht auch irgendwann nach Hause.«
»Dürfen Sie mich eigentlich hier festhalten?«
Anne Snapphane hatte ihre Stimme nicht mehr im Griff, sie klang zu scharf, durchschaubar.
»Ich möchte noch einmal auf den Tumult im Stall zurückkommen …«
Sie sprang entnervt auf, der Stuhl schrammte über das Parkett. »Und was ist, wenn ich jetzt einfach gehe? Was?
Wenn ich einfach hier rausmarschiere, dürfen Sie mich dann noch festhalten? Dürfen Sie das?«
Kommissar Q verzog keine Miene.
»Setzen Sie sich«, sagte er. »Wir sind nicht zum Spaß hier.
Erzählen Sie noch einmal, was im Stall passiert ist.«
Sie stand immer noch und schrie jetzt.
»Das habe ich doch schon erzählt!«
»In der Tat«, sagte der Polizist, »aber die Sache hat einen Haken. Ich glaube nämlich, dass Sie lügen.«
Sie starrte ihn an und spürte, wie ihr der Schweiß die Achseln herunterlief. Sie presste die Arme an den Körper und sank auf den Stuhl.
»Ich glaube, Sie enthalten uns wichtige Details vor«, sagte Q. »Ich werde Sie nicht rauslassen, ehe Sie die Wahrheit sagen. Und wenn ich Sie in Untersuchungshaft nehmen muss.«
Sie fixierte ihn.
»Sie bluffen doch.«
Er zuckte mit den Schultern, stand auf und rief in den Flur hinaus.
»Könnt ihr Karin mal herbitten?«
Panik breitete sich eiskalt in ihrem Körper aus.
»Karin?«, fragte sie. »Wer ist Karin?«
»Die Staatsanwältin«, sagte Q. »Sie ist oben im Schloss.«
»Nein!«, brüllte Anne, stand wieder auf und machte zwei wacklige Schritte auf die Tür zu. »Mein Gott, ich muss nach Hause, ich habe Miranda, ein kleines Mädchen, sie ist erst zwei Jahre alt, ich kann nicht …«
Sie blieb stehen, die Angst war wie ein Loch im Bauch, sie glaubte, wieder in Ohnmacht zu fallen. Q hatte die Arme verschränkt und wartete. In seinem Gesicht war keine Gefühlsregung zu erkennen.
»Okay«, wisperte sie und ging zitternd zu ihrem Stuhl zurück. »Was wollen Sie wissen?«
Sie sank in sich zusammen, als würde die Decke sie niederdrücken.
Er ging langsam um den Tisch herum und setzte sich wieder hin. »Der Stall«, sagte er.
Sie schloss kurz die Augen und atmete durch den offenen Mund.
»Es war so, wie ich gesagt habe. Als ich hinkam, war der Streit schon in vollem Gange.«
»Und wer stritt sich?«
»Michelle und Mariana. Beide waren sturzbetrunken und standen da und schrien einander an, als ich reinkam.«
»Worüber stritten sie?«
»Es hatte offenkundig mit John Essex zu tun. Anscheinend hatte Michelle was mit ihm gehabt, und Mariana flippte deswegen jetzt aus. Aber das weiß ich nicht genau, das habe ich mir nur zusammengereimt.«
»War John Essex im Raum, als Sie reinkamen?«
Sie schüttelte den Kopf, der Beamte seufzte und zeigte auf das Mikrofon.
»Nein«, sagte sie und lehnte sich vor. »Nein, er war in der Küche, aber das wusste ich zu dem Zeitpunkt noch nicht.«
»Und warum regte sich Mariana so darüber auf, dass Michelle was mit John Essex hatte?«
Anne Snapphane zog eine Grimasse.
»Mariana regte sich einfach über alles auf, was Michelle tat. Das ging fast so weit, dass sie die Sendungen sabotierte, nur um Michelle zu ruinieren.«
»Wie fand Michelle das?«
»Sie verabscheute Mariana und wollte sie als Redakteurin gern austauschen. Aber Zero hatte schon mächtig rationalisiert, von wegen der schlechten Konjunktur und so, und Mariana war fest angestellt. Wir mussten die Leute nehmen, die da waren. Das machte allerdings ihr
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