Prime Time
leiser Stimme:
»In dieser Zeitung hat noch kein Vorstand einem Chefredakteur gekündigt. Meiner wird nicht der erste sein.«
Mariana von Berlitz war herausgekommen und, ohne Annika eines Blickes zu würdigen, an ihr vorbeigegangen. Annika hatte es nicht über sich gebracht, auf sie zuzugehen, sie wollte sich die Kränkung ersparen. Die
Konkurrenz
hingegen bekam ein paar Sätze, die sie aber wahrscheinlich ohnehin nicht würde verwenden können.
»Das ist ja auch eine Art zu sterben«, sagte Mariana von Berlitz, und m ihrer Stimme schwang etwas mit, das Annika nicht einordnen wollte oder konnte.
»Ich wette, dass sie das alles selbst arrangiert hat, nur damit sie mal wieder in die Schlagzeilen kommt. Wahrscheinlich fand sie, dass es mal wieder an der Zeit war.«
Der Kollege stellte noch eine Frage, die Annika nicht verstehen konnte, aber sie hörte Marianas schrille Antwort.
»Sie arbeitete an einem Dokumentarfilm über sich selbst, produziert von ihrer eigenen Produktionsgesellschaft. Das nenne ich nun wirklich selbstherrlich und narzisstisch.«
Dann hatte die Fernsehredakteurin ihren schicken kleinen Renault mit dem automatischen Türöffner aufgebeamt, ihre Sachen neben sich auf den Beifahrersitz geworfen und war davongebraust, dass der Kies nur so spritzte.
»Jesses«, meinte Annika laut, und der Mann von der Konkurrenz lachte.
»Also, die hatte ja keine besonders hohe Meinung von Michelle Carlsson«, stellte er fest und kam auf Annika zu, holte eine zerknitterte Schachtel Zigaretten aus der Tasche und bot ihr eine an. Sie lehnte höflich ab, er nahm sich eine.
»Beschissene Geschichte«, sagte er.
Annika seufzte theatralisch.
»Also, ich bin nicht gerade ein großer Fan von ihr gewesen, das muss ich zugeben«, fuhr der Reporter fort, »aber so einen Tod wünscht man doch keinem.«
Sie schüttelten den Kopf, nein, eine Kugel in den Kopf, das war doch zu grässlich. Dann standen sie nebeneinander, sahen zum Schloss hinauf, wippten ein wenig auf den Füßen und warteten auf den nächsten Zeugen. Annika schloss die Augen und wandte ihr Gesicht der bleichen Sonne zu. Die Luft war nach dem Regen leicht und dünn.
»Herrlicher Tag«, sagte der Mann von der Konkurrenz.
»Warum finden fast alle die Moderatoren so blöd?«, fragte Annika.
Der Reporter blinzelte.
»Ist das so? Wer denn?«
Sie sah ihn an.
»Du. Ich. Mariana von Berlitz. Die komplette Redaktion meiner Zeitung. Was bringt uns dazu, uns ein bestimmtes Bild von Leuten zu machen, die wir noch nie kennen gelernt haben?«
»Es sind schließlich Personen des öffentlichen Lebens«, sagte der Reporter unsicher und warf die halb gerauchte Zigarette weg.
»Ja aber«, meinte Annika, »müssen wir sie deshalb verabscheuen?«
»Das ist wahrscheinlich wie bei den Leuten, die in den Zeitungen die Glossen schreiben«, sagte der Mann. »Keiner mag sie, keiner will sie haben, keiner begreift, warum sie Woche für Woche mit Foto drunter irgendwelchen Scheiß schreiben dürfen. Und doch lesen wir sie. In Wahrheit ist es nämlich so, dass wir alle gern die Macht besitzen würden, unserer eigenen Stimme Gehör zu verschaffen.«
Annika starrte ihn an – konsterniert über die Tatsache, dass der Reporter von der Konkurrenz offenbar kein Idiot war.
»Bosse«, sagte er und streckte ihr seine Hand entgegen.
Annika nahm sie vorsichtig und wurde etwas rot.
»Da kommt Bambi Rosenberg«, meinte Bosse, ließ ihre Hand los, vergaß alles andere und lief zur Absperrung.
Sie sah hinter ihm her zum Schloss hinauf. Eine kleine schmale Frau, die einen gigantischen Koffer hinter sich herzog, kam auf die Brücke zu. Sie wirkte resigniert, ohnmächtig, der kurze Rücken war gebeugt.
Michelles beste Freundin, dachte Annika und ging ihr entgegen. Wenn es nun Anne gewesen wäre, die da drin gelegen hätte. Sie schüttelte den Kopf, schob den Gedanken weg.
»Bambi«, rief Bosse von der Konkurrenz, »Bambi Rosenberg, darf ich Ihnen ein paar Fragen stellen?«
Die Frau kam auf die Absperrung zu, schob sich langsam darunter hindurch, den riesigen Koffer immer hinter sich herziehend. Es fiel ihr schwer, mit ihren hochhackigen Sandaletten auf dem Kies zu laufen, und sie schwankte. Die Haare waren zu einem Pferdeschwanz gebunden, die Augen unter dickem Make-up waren blutunterlaufen. Als sie die große Kamera des staatlichen Fernsehens erblickte, griff sie instinktiv schnell nach dem Haargummi, zog es mit einer raschen Bewegung heraus und schüttelte ihre blonden Locken.
»Ja«,
Weitere Kostenlose Bücher