Prime Time
der Konferenz anwesend sein durfte, hatte sich dagegen ausgesprochen, was im Protokoll auch vermerkt war. Er fand diese Aufgabe für einen Zeitungsherausgeber unpassend. Der verantwortliche Herausgeber einer Zeitung solle als Hüter des freien Wortes und Beobachter der Machthaber fungieren und sich keinen politischen Auftrag dieser Art aneignen.
Nachdem ihm dieses Protokoll in die Hände gefallen war, hatte Anders Schyman beim Patent- und Registeramt die Vorstandsmitglieder im Vorsitz der Immobilienfirma überprüft. Torstensson hatte tatsächlich auf dem angebotenen Sessel Platz genommen. Schyman hatte das in der Liste mit Bleistift vermerkt.
Ein knappes Jahr später war er von einer sehr verzweifelten älteren Dame angerufen worden. Sie hatte eigentlich Chefredakteur Torstensson sprechen wollen, aber da dieser nicht anzutreffen war, hatte die Telefonzentrale sie mit dem Redaktionschef verbunden.
Die Dame hatte sich mit einem adligen Nachnamen vorgestellt und unzusammenhängend davon berichtet, dass sie in einer Vierzimmerwohnung in der Floragatan auf Östermalm in Stockholm gewohnt hatte, einer Wohnung, in die sie und ihr Ehemann eingezogen waren, als sie 1945 geheiratet hatten, direkt nach dem Krieg, konnte er sich noch an das Ende des Krieges erinnern? Nein? Wie auch immer, ihr Ehemann war gestorben, das war sehr traurig, sehr, sehr traurig, und jetzt hatten sie ihr auch noch die Wohnung weggenommen, sie hatte umziehen müssen, und auch das war sehr, sehr traurig. Der Vermieter hatte renoviert und ihr eine andere Wohnung angeboten, durfte das denn sein?
Schyman hatte ihr zerstreut und etwas verärgert zugehört, war aber wach geworden, als sie den Namen des Vermieters nannte. Es war die Immobilienfirma der Regierungspartei.
Mit Chefredakteur Torstensson wollte sie sprechen, weil sein Sohn ihre Wohnung übernommen hatte, während man ihr selbst eine Dreizimmerwohnung im Vorort Skärholmen zugewiesen hatte. Und da wollte sie nicht wohnen, da wollte sie nun wirklich nicht wohnen, so viele Ausländer, und man weiß ja, wie die sind, das sind doch alles gewalttätige Terroristen, und dann diese traurige Architektur! Jetzt war sie stattdessen gezwungen gewesen, sich eine Wohnung auf Östermalm zu kaufen, und sie fand, dass die Immobilienfirma sich daran ruhig finanziell beteiligen sollte.
Schyman hatte die alte Dame genauestens befragt und herausbekommen, dass sie wirklich die Wahrheit sagte.
Torstenssons Sohn war seit zwei Monaten unter dieser Anschrift gemeldet gewesen.
Das hätte eigentlich schon reichen müssen, dachte Anders Schyman und seufzte, aber das tat es nicht. Er blätterte in den Papieren, die er gesammelt hatte, und wog sie wie eine Waffe in der Hand. Die alte Dame reichte nicht. Publizistisch gesehen hielt sie nicht stand. Niemandem würde eine steinreiche Rassistin aus der Oberklasse, die sich genauso gut auch eine Wohnung kaufen konnte, so richtig Leid tun.
Natürlich war es moralisch sehr zweifelhaft, dass Torstensson seinen Sohn an der unendlich langen Schlange der Wohnungssuchenden in Stockholm einfach vorbeigeschleust hatte, denn so war das natürlich gelaufen, aber es war doch die Frage, ob das ausreichte, um ihn abzusägen. Torstensson würde sich um jeden Preis an seinen Posten klammern, und wenn er nicht freiwillig zurücktrat oder mit großem Tamtam gekündigt wurde, dann würde die Sache der Zeitung nur Schaden zufügen und nicht ihre dringend benötigte Rettung sein.
Er musste etwas Stichhaltigeres finden.
Eine Methode, Torstensson loszuwerden, wäre natürlich, die Zeitung einen Riesenfehler, einen schlimmen Fehlgriff machen zu lassen, in dessen Gefolge sich das ganze Land gegen sie stellen würde. In einer solchen Situation würde man den Vorstand zwingen, eine Misstrauenserklärung abzugeben. Doch so weit könnte er niemals gehen. Sein Auftrag war nicht, Torstensson fertig zu machen, sondern die Zeitung zu retten. Der Pfeil durfte nur den Chefredakteur treffen, was die Sache natürlich viel schwieriger machte und große Anforderungen an die Präzision stellte.
Er wollte keine zivilen Opfer. Außerdem würde er bei einem großen Scheitern womöglich selbst gehen müssen.
Somit hing alles an der Geschichte mit den Aktien und möglicherweise an Annika Bengtzon.
Schyman holte die Papiere heraus, die ganz hinten in der Mappe lagen. Es handelte sich um das Protokoll einer Vorstandssitzung, eine Pressemitteilung und zwei Zeitungsausschnitte aus der
Wirtschaftswoche.
Der erste
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