Princess 01 - Widerspenstige Herzen
Köstlichkeiten ließ sie verzückt die Augen schließen. Sie liebte gutes Essen. Sie liebte es, in exquisiter Umgebung zu speisen und sie genoss die schmeichlerische Zustimmung, mit der Henri ihre Bestellung entgegennahm.
Die vier Männer verbeugten und entfernten sich. Man behandelte sie zuvorkommend, weitaus zuvorkommender, als es ihr die großzügigen Trinkgelder erkaufen konnten.
Geschah dies möglicherweise aus Mitleid?
Die Erkenntnis traf Evangeline wie ein Schlag. Sie wandte ihr Gesicht abrupt von den anderen Gästen ab und versuchte, ihren Blick auf die mondbeschienenen Gipfel zu richten. Doch das Fenster zeigte ihr nur das Spiegelbild des Speisesaals. Nun, da sich die Aufregung um ihr Erscheinen gelegt hatte, waren die anderen Reisenden wieder ins Gespräch mit ihren Ehegatten, Kindern oder Liebhabern vertieft. Jeder hier hatte jemanden, nur Evangeline war allein.
Sie hatte angenommen, dies werde sich im Laufe der Zeit ändern, doch es lag nicht in ihrem Wesen, rasch Kontakte zu knüpfen. Ihr gesunder Menschenverstand ließ sie von anderen Abstand halten, und sie musste erkennen, dass es egal war, ob sie hier in den Pyrenäen oder zu Hause in England einsam war.
Plötzlich stiegen ihr Tränen in die Augen, und das Spiegelbild im Fenster verschwamm.
Sie war allein, ohne ein Zuhause, ohne eine Familie ...
Henri stand neben ihr. »Hier haben wir Brot für Sie, noch warm vom Ofen.« Hefegeruch begleitete den Korb voller goldener, knuspriger Brötchen. »Und hier kommt die soupe de poisson.« Der Duft von Oregano und Forelle wehte ihr aus einer Tomatenbrühe entgegen. »Und selbstverständlich schenken wir Ihnen nach. Sie sollten mehr Wein trinken, Mademoiselle, er wärmt das Blut und rötet die Wangen.«
Evangeline blinzelte die Tränen fort und blickte in Henris schlaues Gesicht. Er sah, wie es um sie bestellt war, wies mit einer ruckartigen Kopfbewegung ans Ende der Halle und flüsterte: »Sie haben einen Bewunderer.« Und als sie den Kopf recken wollte, fügte er hinzu: »Nein, schauen Sie nicht hin!«
Also lehnte sie sich in ihren Sessel zurück, knöpfte ihre langen Abendhandschuhe auf und legte sie sich auf den Schoß. »Sie scherzen, Henri.«
Henri setzte sich mit einem spitzbübischen Seufzer zur Wehr: »Ich und scherzen? Schauen Sie nur selbst, sobald ich gegangen bin, und Sie werden ihn sehen. Neben dem Kamin. Er sieht zu Ihnen herüber.« Henri beugte sich herunter und murmelte: »Der Herr - ein sehr stattlicher Herr, übrigens - hat um einen Platz gebeten, von dem aus er Mademoiselle beobachten kann.«
Evangelines Herz tat einen dumpfen Schlag und fand dann seinen ruhigen Rhythmus wieder. Henri irrte sich natürlich, oder er übertrieb. Männer hatten sich ihren Reizen gegenüber immer als bemerkenswert unempfindlich erwiesen. Sogar dann noch, wenn diese Reize in Spitze und Seide herausgeputzt waren. Es musste an ihrer Ausstrahlung liegen, die - wie man ihr gesagt hatte - sehr abweisend war. Sie entließ ihn mit einem knappen: »Danke, Henri.«
Sie würde nicht zum Kamin hinübersehen. Sie konnte nicht ausschließen, dass Henri diesen Mann bestochen hatte, damit er Interesse an ihr zeigte, und sie war sich sicher, dass Henris Vorstellung von Stattlichkeit kaum der ihren entsprach.
Also riss sie eines der Brötchen in zwei Hälften, bestrich es mit Butter und nahm den ersten himmlischen Bissen. Sie schwärmte für Frankreich, für die französische Sprache, für die Architektur und für jede Speise, die man ihr vorgesetzt hatte. Aber am meisten schwärmte sie für das französische Brot.
Fest, weiß, von zäher Struktur und umhüllt von wohl schmeckender Kruste, streichelte dieses Brot ihre Feinschmeckerseele, von deren Existenz sie früher nichts geahnt hatte. Es war ihr fast peinlich, an einem einfachen Stück Brot solches Vergnügen zu finden. Also öffnete sie schnell die Augen, ließ den Blick durch den Raum schweifen - und sah ihn.
Er war tatsächlich sehr gutaussehend, und er beobachtete sie.
Evangeline wandte sich so schnell wieder ab, dass ihre Nackenmuskeln schmerzten.
Er hatte sie förmlich angestarrt. Als ihre Blicke sich trafen, hatte sie sein grüblerisches Interesse sehen können und etwas, das einfach nicht sein konnte. Einen enormen Besitzanspruch.
Ein leises Geräusch störte ihre Überlegungen. Sie hatte ihr schönes Brötchen völlig zerdrückt, und die goldene
Kruste war in Krümeln auf ihren Schoß gefallen. Sorgfältig legte sie die malträtierten Reste auf
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