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Principia

Principia

Titel: Principia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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zu einem Sicherheits-Kontrollpunkt für einen Königspalast, zu einem altmodischen Elendsquartier, zu einer Ansammlung von Stolpersteinen. Den Teil, in dem Dart wohnte, hatte man nur stehen lassen, weil er sich leicht zu Lagerhäusern umfunktionieren ließ.
    Und wenn Dart zu gründlicher Introspektion neigen würde, könnte er darüber nachgrübeln, wie sonderbar seine Lebensumstände waren: Er (ein analphabetischer Barbier), ein Marketender und ein Schwarzgardist (wie Jungen, die Stiefel putzten, genannt wurden) teilten sich eine Wohnung, die zwanzig Schritt von der Hauptfestung Wilhelms des Eroberers entfernt lag.
    Keiner dieser Gedanken freilich kam ihm oder kam ihm auch nur nahe, während er an dem fraglichen Nachmittag durch die Giebelöffnung spähte und dunkelrotes Blut aus seiner Lunge auf einen verkrusteten braunen Lumpen hustete. Dart lebte für den Augenblick.
    Die Parade erstreckte sich hundert Schritte weit von Osten (der Linie von Baracken, die sich an den Fuß des White Tower schmiegte) nach Westen (einer winzigen Straße von Wärterhäuschen, die mit der Rückseite an die Westmauer stießen). Hundertfünfzig Schritte trennten ihre Nordseite (die Chapel) von der Südseite (dem Logis des Lieutenants). Die Cold-Harbour-Wohnung von Dart dem Barbier, Tom dem Schwarzgardisten und Pete dem Marketender lag etwa auf halber Strecke an ihrem Ostrand. Nach links hatte Dart somit einen guten Blick auf die Nordhälfte der Parade, doch nach rechts war alles von dem hohen White Tower verdeckt, der wie ein massiver Steinkubus in der Mitte des Komplexes thronte. Seine eindrucksvollen Konturen waren auf der West- und Südseite mit einer niedrigen Reihe völlig gleicher Baracken verbaut worden, die Wand an Wand aneinandergequetscht waren, sodass ihre Spitzdächer sich zu einem gezahnten Saum verbanden. In diesen und ähnlichen Baracken nahebei wohnten zwei Kompanien der Guards. Das andere Dutzend Kompanien war in diversen Quartieren entlang der Peripherie des Inner Ward, in der Mint Street oder überall dort untergebracht, wo sich Raum für sie hatte finden lassen. Insgesamt belief sich ihre Zahl auf fast eintausend.
    Tausend Mann konnten nicht ohne Nahrungsmittel leben, weshalb man es zugelassen, ja dazu ermutigt hatte, dass Marketender mit ihren Häuschen diverse Ritzen um den Tower und am Wharf mit Beschlag belegten. Das von Pete war keines davon. Er war Mieter dieser Dachkammer und vermietete Hängemattenplatz an Dart und, seit Neuestem, auch an Tom unter.
    Die Queen’s Own Black Torrent Guards wurden häufig zu Diensten zeremonieller Natur, wie etwa der Begrüßung ausländischer Botschafter am Tower Wharf, herangezogen, und waren in stärkerem Maße als üblich damit beschäftigt, ihre Ausrüstung in Schuss zu halten. Das bedeutete, dass Tom und die anderen Stiefelputzer immer gut zu tun hatten. Und jede Ansammlung von Menschen benötigte Barbiere, die Wunden versorgten und sich um die Entfernung überflüssiger Haare, Schnurrbärte, Körpersäfte und brandiger Gliedmaßen kümmerten. Deshalb hatte man Dart gestattet, etwas blutige Gaze um die Spitze einer Pike zu wickeln und diese als das übliche Kennzeichen seines Gewerbes vor einer bestimmten Tür in Cold Harbour aufzupflanzen.
    Im Augenblick ging er diesem Gewerbe nicht nach, sondern zog immer wieder nervös ein Rasiermesser an einem Streichriemen ab und spähte dabei die Reihe der Barackentüren entlang, wo er Tom dem Stiefelputzer bei seiner Runde zusah. Der größte Teil der Garnison lag extra muros, auf Tower Hill; in ihrer Abwesenheit ging Tom nacheinander an jede Tür, um die Stiefel zu putzen, welche die Soldaten davorgestellt hatten. Dem Aussehen nach war Tom ein Junge von ungefähr zwölf Jahren. Aber er sprach mit der Stimme – und folgte den Gelüsten – eines erwachsenen Mannes, weshalb Dart vermutete, dass es sich in Wirklichkeit um einen Burschen handelte, der nicht richtig gewachsen war.
    Tom war schon seit fast zwei Stunden bei der Arbeit und hatte sich eine feste Routine zu eigen gemacht, die darin bestand, dass er sich hinhockte, um ein Paar Stiefel zu putzen, dann, wenn er fertig war, aufstand, als verspürte er das Bedürfnis, sich zu strecken, einen müßigen Blick über die Parade schweifen ließ und kurz zum Himmel aufschaute, um festzustellen, ob sich ein Wetterwechsel ankündigte. Dann wandte er seine Aufmerksamkeit dem nächsten Paar Stiefel zu.
    Das Einzige, was noch langweiliger war, als diese Arbeit zu verrichten, war, dabei

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