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Principia

Principia

Titel: Principia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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lassen. Das ersparte einem Läuse.
    Bis Dart seine Pinsel und Rasiermesser zurechtgelegt und seinen Figaro-Posten neben dem Earl eingenommen hatte, war Tom der Stiefelputzer schon auf halbem Wege über die Parade und starrte ihn durchs Fenster neugierig an. Was gut war. Denn sonst hätte es Dart niemals tun, ja nicht einmal erwägen können. Ein Earl oder auch nur ein Yeoman Warder war für ein Insekt wie Dart so groß, so mächtig, so schrecklich. Doch hinter Tom dem Stiefelputzer stand eine kalte Macht, die sogar einen Earl überwog. Dart mochte einem Friedensrichter entgehen, aber Burschen wie Tom konnten ihn aufspüren, und wenn er bis nach Barbados flüchtete. Wenn Dart nicht tat, was man ihm befohlen hatte, würde er für alle Zeiten ein in einem Gehege gefangenes Kaninchen sein, das von einem Heer von Frettchen verfolgt wurde. Und das verlieh ihm den Mut – wenn Mut denn das richtige Wort dafür war – zu verkünden: »Hört her,Yeoman Clooney, ich habe Lord Hollesley eine Klinge an den Hals gesetzt.«
    »Äh – was?« Clooney war nahe daran gewesen, einzudösen.
    »Eine Klinge an den Hals.«
    Der Earl las den Examiner. Er war schwerhörig.
    »Aha, du schneidest ihm also nicht nur die Haare, sondern rasierst ihn auch?«
    Damit hatte er nicht gerechnet. Eigentlich sollte Clooney verstehen, was eine Klinge am Hals eines Lords zu bedeuten hatte.
    »Weder das eine noch das andere, Sir. Ich drohe damit, Mylord zu töten!«, verkündete er.
    Der Earl erstarrte und raschelte mit seinem Examiner. »Die Whigs werden der Tod dieses Landes sein!«, verkündete er.
    »Welchen Grund könntest du für eine solche Wahnsinnstat haben?«, wollte Clooney von seiner Ecke aus wissen.
    »Der Junto!«, fuhr der Earl fort. »Warum kommen sie nicht heraus damit und nennen es bei seinem richtigen Namen, eine Kabale, eine Verschwörung! Sie versuchen, Ihre Majestät ins Grab zu bringen! Das ist Mord unter einem anderen Namen.«
    »Von Gründen weiß ich nichts. Gründe sind etwas für Tom. Tom ist an der Tür«, sagte Dart.
    »Da steht alles!«, fuhr der Earl fort und beugte sich plötzlich vor, sodass er sich die Kehle hätte durchschneiden können, wenn Dart nicht rechtzeitig reagiert hätte. »Der Herzog von Cambridge. Was, ist ihm sein deutscher Titel nicht gut genug? Man könnte meinen, er wäre ein richtiger Engländer, wie?«
    An der Tür ertönte ein Klopfen des Wächters. »Stiefelputzer«, kam der Ruf.
    »Lasst ihn ein, Sir«, sagte Dart, »und lasst dem Wächter gegenüber keinerlei Anzeichen von Sorge erkennen. Tom wird Euch genau beobachten. Tom wird alles erklären.«
    »Kein Wunder, dass Ihre Majestät erzürnt ist! Es handelt sich um eine kalkulierte Kränkung – von Ravenscar kalkuliert. Wo Alter und Wechselfieber es nicht vermocht haben, unsere Königin zu Fall zu bringen, wird er es, Gott bewahre, mit Ärger bewerkstelligen!«
    Clooney verließ das Wohnzimmer. Einige Augenblicke lang stand Dart mit zitternder Messerhand da, denn er rechnete damit, dass gleich der Wächter auftauchen und ihm eine Pistolenkugel in den Kopf jagen würde. Aber die Tür öffnete und schloss sich ohne jeden Tumult, und dann hörte Dart die aalglatte Stimme von Tom dem Stiefelputzer, der in der Eingangshalle mit Clooney sprach.
    »Diese Sophie ist ein kreisender Aasgeier«, verkündete Lord Hollesley. »Begnügt sich nicht mit einer würdevollen Thronfolge – sie schickt ihren Enkel vor, damit er wie ein Falke an den abgezehrten Wangen unserer Herrscherin pickt!«
    Dart lauschte angestrengt dem Gespräch zwischen dem Stiefelputzer und dem Yeoman, aber das Wettern und Zeitungsrascheln des Earls übertönte alles bis auf ein paar Worte: »Moskowiter... Wakefield Tower... Wirbel... Jakobiten...«
    Dann plötzlich steckte Tom den Kopf ins Wohnzimmer und musterte ihn leidenschaftslos, wie ein Coroner, der eine Leiche in Augenschein nimmt. »Bleib hier«, sagte er, »bis es passiert.«
    »Bis was passiert?«, fragte Dart. Aber Tom war, Yeoman Clooney neben sich, schon wieder auf dem Weg zur Tür hinaus.
    Dart stand da, ließ die müde Messerhand auf dem Schlüsselbein des Earls ruhen und sah zu, wie die beiden schräg über das Grün auf den Wakefield Tower zugingen – wo einem Gerücht zufolge in der Nacht zuvor ein einarmiger Russe angekettet worden war.
    Es gab nichts weiter zu tun. Und so begann er den Kopf des Earls einzuseifen. Kurz darauf hörte er von der Nordseite des Tower Hill das heftige Läuten mehrerer Glocken. Dies war ein

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