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Principia

Principia

Titel: Principia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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inzwischen jeder. Als ich ein junger Bursche war, verhielt sich das nicht so. Wir pflegten Aristoteles nachzuplappern und zu sagen, es liege in der Natur des Wassers, vom Mond angezogen zu werden. Inzwischen sagen wir dank unserem Mitpassagier ›Schwerkraft‹. Das scheint eine große Verbesserung zu sein. Aber ist es das auch wirklich? Versteht Ihr die Gezeiten, Oberst Barnes, schlicht deshalb, weil Ihr ›Schwerkraft‹ zu sagen wisst?«
    »Ich habe nie den Anspruch erhoben, sie zu verstehen.«
    »Ah, das ist eine sehr kluge Praxis.«
    »Es kommt nur darauf an, dass er sie versteht«, fuhr Barnes fort und senkte den Blick, als könnte er durch die Decksplanken sehen.
    »Tut er das denn?«
    »Das habt Ihr und Euresgleichen aller Welt gesagt.«
    »Ihr meint die Royal Society?«
    Barnes nickte. Er beäugte Daniel einigermaßen beunruhigt. Daniel sagte grausamerweise gar nichts, sondern ließ Barnes schmoren, bis dieser es nicht mehr aushielt und fortfuhr: »Sir Isaac arbeitet an Band drei, nicht wahr, und dieser wird das Mondproblem klären. Ein für alle Mal.«
    »Er arbeitet Gleichungen aus, die mit Mr. Flamsteeds Beobachtungen übereinstimmen müssten.«
    »Woraus folgen würde, dass die Schwerkraft ein gelöstes Problem ist; und wenn sich anhand der Schwerkraft vorhersagen lässt, wie sich der Mond verhält, dann müsste das ebenso für das Hin- und Herschwappen des Wassers in den Ozeanen gelten.«
    »Aber heißt etwas beschreiben auch, es zu verstehen?«
    »Ich würde meinen, es ist ein guter erster Schritt.«
    »Ja. Und es ist ein Schritt, den Sir Isaac getan hat. Die Frage lautet nun, wer wird den zweiten Schritt tun?«
    »Ihr meint, das wird er oder Leibniz sein?«
    »Ja.«
    »Leibniz hat noch nicht über die Schwerkraft gearbeitet, nicht wahr?«
    »Ihr meint, es liegt auf der Hand, dass Sir Isaac, nachdem er schon den ersten Schritt getan hat, besser in der Lage sein müsste, auch den zweiten zu tun?«
    »Ja.«
    »Gewiss würde man das meinen«, sagte Daniel mitfühlend. »Andererseits verirrt sich derjenige, der zuerst geht, bisweilen in eine Sackgasse und wird überholt.«
    »Wie kann seine Theorie eine Sackgasse sein, wenn sie alles vollkommen richtig beschreibt?«
    »Ihr habt doch vorhin gehört, wie er seine Besorgnis wegen Leibniz geäußert hat«, hob Daniel hervor.
    »Weil Leibniz bei Sophie Gehör findet! Nicht weil Leibniz der bessere Philosoph ist.«
    »Um Vergebung, Oberst Barnes, aber ich kenne Sir Isaac seit unserer Studentenzeit, und ich sage Euch, er seiht keine Mücken. Wenn er so viel Aufwand treibt, um sich für die Schlacht zu gürten, könnt Ihr sicher sein, dass sein Feind ein Titan ist.«
    »Welche Waffe könnte Leibniz denn besitzen, mit der er Sir Isaac etwas anhaben kann?«
    »Zunächst einmal die Weigerung, in Ehrfurcht zu erstarren, und die derzeit von keinem Engländer geteilte Bereitschaft, peinliche Fragen zu stellen.«
    »Was für peinliche Fragen?«
    »Solche, wie ich sie eben gestellt habe: Woher weiß das Wasser, wo der Mond ist? Wie kann es durch die gesamte Dicke der Erde hindurch den Mond wahrnehmen?«
    »Die Schwerkraft geht durch die Erde hindurch wie Licht durch eine Glasscheibe.«
    »Und welche Form nimmt die Schwerkraft an, die ihr die erstaunliche Fähigkeit verleiht, durch die massive Erde hindurchzuströmen?«
    »Ich habe keine Ahnung.«
    »So wenig wie Sir Isaac.«
    Das brachte Barnes einen Moment lang aus dem Konzept. »Weiß es denn Leibniz?«
    »Leibniz hat eine völlig andere Art, darüber nachzudenken, so anders, dass sie manchen verdreht erscheint. Sie hat den großen Vorteil, dass sie es vermeidet, Unsinn zu verzapfen, von wegen die Schwerkraft ströme durch die Erde wie Licht durch Glas.«
    »Dann muss sie ebenso große Nachteile haben, sonst wäre er, und nicht Sir Isaac, der Welt führender Naturphilosoph.«
    »Vielleicht ist er das ja, und es weiß nur niemand«, sagte Daniel. »Aber Ihr habt recht. Leibnizens Philosophie hat den Nachteil, dass noch niemand weiß, wie sie sich mathematisch ausdrücken lässt. Und deshalb kann er im Gegensatz zu Sir Isaac Gezeiten und Sonnenfinsternisse nicht vorhersagen.«
    »Wozu ist Leibnizens Philosophie dann gut?«
    »Sie könnte die Wahrheit sein«, antwortete Daniel.

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