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Principia

Principia

Titel: Principia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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Problem mit dieser speziellen Rasse nicht darin, dass sie de-, sondern dass sie leidenschaftlich kon struktiv war und um keinen Preis damit aufhören wollte, durch die nur allzu zahlreichen Tore unentwegt neues Baumaterial heranzuschaffen und menschliche Behausungen daraus zu machen. Den Elementen überlassen, würden solche Improvisationen in Jahrzehnten oder Jahrhunderten von selbst einstürzen, sodass der Tower so bliebe, wie Gott und die Normannen ihn gewollt hatten. Wo aber ein Mensch – und das war die Schwierigkeit – eine Behausung fand, nahm er sie in Besitz, und wenn sie kaputtging, reparierte er sie, und wenn man ihn nicht daran hinderte, versah er sie mit Anbauten. Für die Verwaltung des Tower glich dies weniger einem Termitenbefall als einer Plage nestbauender Wespen.
    Jedes Mal, wenn der Constable, der Kommandant des Tower, einen Bau-Inspektor kommen ließ und dessen Arbeit mit dem Plan verglich, den sein Vorgänger einige Jahrzehnte zuvor gezeichnet hatte, stellte er fest, dass sich, wie Staubflusen unter einem Bett, in den Ecken unmerklich neue Nester gebildet hatten. Wenn er dann die Leute, die darin wohnten, an die Luft setzen wollte, damit er die Nester abreißen konnte, konfrontierte man ihn mit Dokumenten und Präzedenzfällen, aus denen hervorging, dass diese Leute keine Eindringlinge ohne Rechtstitel, sondern Mieter waren, die schon seit Jahrzehnten irgendeinem anderen Eindringling-und-Mieter-in-einem Miete bezahlten, der wiederum irgendeiner Körperschaft, einem Amt oder sonst einem eigenartigen, alten Gebilde sui generis , das sich auf langes Bestehen oder königliche Ermächtigung berief, Miete zahlte oder notwendige Dienste erwies.
    Abgesehen von einer konzertierten Brandstiftungskampagne wurde diese Heimsuchung nur durch den Raummangel innerhalb der Mauern gebremst, die den Bienenstock umschrieben. Es lief somit auf die Frage hinaus, wie viel Gedränge Menschen ertragen konnten. Die Antwort: nicht so viel wie Wespen, aber immer noch eine ganze Menge. Es gab sogar einen Menschentyp, der das geradezu brauchte, und diesen Menschentyp zog es instinktiv nach London.
    Dart der Barbier wohnte in einer Dachkammer über einem Lagerhaus in Cold Harbour. Den größten Teil des Jahres war es in Cold Harbour fraglos kalt. Für Dart und seine Mitbewohner – Pete den Marketender und Tom den Schuhputzer – war es zugleich so etwas wie ein metaphorischer Hafen. Doch davon abgesehen ergab der Name keinerlei Sinn. Cold Harbour lag nicht annähernd am Wasser und erfüllte auch keinerlei Hafenfunktionen. Cold Harbour war ein Flecken Erde mit ein paar Lagerhäusern in der Mitte des Tower Green, ganz in der Nähe der Südwestecke des alten Burgfrieds mit Namen White Tower.
    Im Scheitel des Giebels hatte man in das mit Lehm beworfene Flechtwerk ein winziges Loch gestochert, das gerade groß genug war, um einer Taube Zugang zu gewähren, den Rauch eines Binsenlichts abziehen zu lassen oder ein Menschengesicht zu rahmen. Im Augenblick verhalf es Dart zu so etwas wie einem Taubenblick auf die Parade. Sie nahm etwa die Hälfte des Inner Ward ein und war der größte offene Raum im Tower, ein wohlgepflegtes Stück englischen Rasens. Doch unterhalb von Dart war sie von Steingraten zernarbt, die der Regen ausgewaschen hatte: die offen liegenden Fundamente von Mauern, die längst tote Constables vor Äonen hatten niederreißen lassen. Denn vielleicht das Einzige, was einen Constable anstacheln konnte, gewaltsam gegen die quälende Zunahme von Unterständen, Anbauten und Erweiterungen vorzugehen, war das Bewusstsein (a) seiner Sterblichkeit und (b) der Tatsache, dass im Tower kein Platz mehr war, an dem man ihm ein Grab schaufeln konnte. Jedenfalls gab es hier Anzeichen dafür, dass Cold Harbour einmal etwas Größeres gewesen war. Auf Bodenhöhe waren diese Ruinen ein sinnloses Labyrinth von Stolpersteinen. Von Darts bevorzugter Warte aus ließen sie sich als eine Seite rechtwinkeliger, mit grauer und gelber Farbe auf grünen Filz gemalter Hieroglyphen erkennen.
    Falls sich Dart für die soeben verstrichenen Jahrhunderte ebenso sehr interessiert hätte wie für die soeben anbrechenden nächsten Stunden, hätte er das grasige Palimpsest entziffern können, sodass es ihm eine Geschichte über die Befestigungen des innersten Hofes erzählt hätte, und wie sie sich im Laufe der Zeit verändert hatten: von einer Palisade, um die zähen Angeln draußen zu halten, zur innersten eines halben Dutzends von Umwallungslinien,

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