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Principia

Principia

Titel: Principia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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zuzusehen. Obwohl man Dart gesagt hatte, er dürfe auf gar keinen Fall den Blick von Tom wenden, fiel es ihm schwer, die Augen offenzuhalten. Die Sonne kämpfte gegen einen weißen Dunst an, der die Dachkammer in eine zum Dösen verführende Wärme hüllte. Ab und zu fand ein kalter Windhauch den Weg in Darts Gesicht und erinnerte ihn daran, die Augen aufzuschlagen. Wie es sich gehörte, war er, der Barbier, im ganzen Tower am schlechtesten rasiert. Sein Stoppelkinn pikste ihn wach, wenn er einnickte und es auf die mit Taubenscheiße bedeckte, winzige Fensterbank sinken ließ. Das Einzige, was er beim Warten tun konnte, war, seine Handwerkszeuge zu wetzen. Doch wenn er das noch länger tat, würden sie durchsichtig werden.
    Tom der Stiefelputzer hatte sich ein gelbes Tuch über die Schulter geworfen.
    Eben war es noch nicht da gewesen. Dart wurde von Schuldgefühlen und Angst gepackt und rechtfertigte sich bereits: Ich habe ihn nicht länger als einen Herzschlag aus den Augen gelassen!
    Er sah abermals hin. Tom bückte sich, um ein weiteres Paar Stiefel in Angriff zu nehmen. Neben den üblichen, schwarz verfleckten Lumpen stach das gelbe Tuch wie ein Blitzstrahl hervor.
    Dart schloss die Augen, zählte bis fünf, schlug sie wieder auf und schaute, um sicherzugehen, ein drittes Mal hin. Es war immer noch da.
    Zum ersten Mal seit zwei Stunden trat Dart der Barbier vom Fenster zurück, scharrte seine Streichriemen, Scheren und Rasiermesser in einen Beutel und eilte zur Treppe.
    Aufeinandergestapelte Mehlsäcke, Fässchen mit gepökeltem Fleisch, an den Balken hängende Schinken und ausgeweidete Kaninchen sowie die Hängematten, in denen Dart, Tom und Pete schliefen, hatten die Dachkammer in ein Labyrinth verwandelt. Aber Dart bewegte sich gewandt hindurch und trippelte eine fatal steile Treppe ins Erdgeschoss hinunter, wo er nach hastigem Durchmessen eines ungemein übel riechenden, nicht mehr als schulterbreiten Ganges auf eine etwas breitere, L-förmige Gasse gelangte, die vom Tor des Bloody Tower zum Inner Ward führte. Er hastete um den Knick des L herum und trat vor dem Südwestwinkel des White Tower aufs Gras hinaus. Dann wechselte er abermals die Richtung und erreichte, nach links gehend, die Parade.
    Man hatte ihn ermahnt, sich nicht umzusehen, aber er konnte sich einen kurzen Blick auf Tom nicht verkneifen, der eifrig mit einem Stiefel beschäftigt war. Tom war ihm zugewandt. Zwar hatte er den Kopf über seine Arbeit gebeugt, doch seine Augen waren, um Darts Gang über das Gras verfolgen zu können, so weit nach oben verdreht, dass man nur noch das Weiße sah.
    Bemüht zu erraten, was Tom gesehen hatte, wagte es Dart, hierhin und dahin zu blicken. Denn es hatte in den vergangenen zwei Stunden den Anschein gehabt, als habe Tom den Himmel nach etwas abgesucht. Über der Westmauer des Tower war nichts zu sehen als die etwa eine halbe Meile entfernte Säule des Monuments und dahinter die Kuppel von St. Paul. Er wandte den Kopf nach rechts und blickte nach Norden über die Lagerhäuser und Baracken, die jenen Rand des Inner Ward säumten. Da war etwas: Rauchwölkchen stiegen auf und verloren sich am weißen Himmel. Ihr Ursprung schien ganz in der Nähe zu sein. Aber nicht so nahe wie die Münze, die gleich auf der anderen Seite der Baracken lag. Vermutlich kam der Rauch vom Tower Hill. Er stammte wahrscheinlich nicht von Schießpulver, denn Dart hatte die Guards keine Waffe abfeuern hören. Möglicherweise hatte in einem der Höfe, die sich im Labyrinth der Weiler des Towers verbargen, irgendwer ein Abfall-Feuer entzündet. Möglicherweise war es auch etwas mehr als brennender Abfall.
    Er zögerte. Er hatte den größten Teil des Weges über die Parade zurückgelegt. Doch plötzlich war die Tür von Nr. 6, einem der Wärterhäuschen, aufgegangen. Anstelle des üblichen einen Wächters standen dort drei. Wie es schien, sollte der Schotte an die frische Luft kommen. Ein Yeoman Warden trat heraus. Es war Downs. Er wohnte mit dem Schotten in Nr. 6, und er hatte an diesem Morgen großen Wert darauf gelegt, eine gute Rasur zu bekommen. Nun hatte er noch einen draufgesetzt und sich in seinen besten Rock geworfen. Er wurde gefolgt von Lord Gy, einem massigen Mann in einem Kilt. Dann kam dessen Dienstmädchen, die üppige Rothaarige, mit einem Korb am Arm. Lord Gy und Yeoman Downs marschierten genau in Richtung Süden los, auf das Logis des Lieutenants zu, das unterhalb der Zinnen des Bell Tower lag. Die drei Wächter nahmen

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