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Principia

Principia

Titel: Principia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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Landstraße ostwärts zu reiten und dabei mit der Schaluppe Schritt zu halten.
    »Im Augenblick fürchtet sich gerade jeder zu Tode«, sagte Barnes. Er stellte sich neben Daniel an die Reling und bot ihm eine Hälfte eines kleinen Brotlaibes an, auf den sich Daniel praktisch stürzte. »Wenn man bestimmte Whigs hört, lauert knapp hinter dem Horizont eine jakobitische Invasionsflotte, angetrieben von einem papistischen Wind. Und dennoch fürchtet Sir Isaac die Ankunft des Deutschen! Es ist unmöglich, dass sowohl die Hannoveraner als auch die Jakobiten denselben Raum einnehmen. Dennoch sind die Ängste der Whigs und die Sir Isaacs gleichermaßen real.«
    Mit seiner Anspielung darauf, dass es unmöglich sei, dass zwei Objekte denselben Raum einnahmen, griff Barnes auf einen verbalen Trick zurück, der seinen Ursprung bei Descartes hatte. Er hatte, mit anderen Worten, in Oxford oder Cambridge studiert. Er müsste eigentlich Vikar oder gar Dekan an irgendeiner Kirche sein. Was machte er hier?
    »Wenn Sir Isaac mit solcher Beklommenheit von dem Deutschen spricht, meint er nicht Georg Ludwig.«
    Barnes schaute zuerst verblüfft, dann fasziniert drein. »Leibniz -?«
    »Ja.« Und diesmal konnte sich Daniel ein leichtes Lächeln nicht verkneifen.
    »Dann ist Sir Isaac gar kein Jakobit...«
    »Keineswegs! Er fürchtet die Ankunft der Hannoveraner nur insofern, als Leibniz der Berater von Sophie und Prinzessin Caroline ist.« Daniel war sich nicht ganz sicher, ob er Barnes so viel erzählen sollte, aber es war besser für Barnes, die Wahrheit zu begreifen, als den Verdacht zu hegen, Isaac sei ein heimlicher Anhänger des Wechselbalgs.
    »Ihr habt eine Generation übersprungen«, sagte Barnes boshaft. Jedenfalls so boshaft, wie ein verstümmelter Oberst der Dragoner sein konnte.
    »Falls Georg Ludwig irgendein wie auch immer geartetes Interesse an der Philosophie – oder überhaupt an irgendetwas - hat, so ist das ein wohlgehütetes Geheimnis«, erwiderte Daniel.
    »Darf ich das so verstehen, dass das derzeitige Unternehmen seinen Ursprung in einem philosophischen Disput hat?«, fragte Barnes und blickte sich um, als sähe er die Schaluppe in einem ganz neuen Licht.
    Die Atalanta hatte nun die Mitte der Fahrrinne erreicht und setzte, von den langsamen Pferdekähnen befreit, mehr Leinwand, als sie es zuvor getan hatte. Sie segelten auf dem Gravesend Reach genau ostwärts. Zu ihrer Rechten zogen sich die Kalkhügel immer weiter vom Fluss zurück, wodurch sich das zu ihren Füßen liegende Sumpfland verbreiterte. Zu ihrer Linken lag die Stadt Tilbury. Sie war der letzte Hafen an diesem Flussufer, denn dahinter platschte die Themse zwischen Schlammzonen dahin, anstatt zwischen richtigen Ufern zu strömen. Trotz ihrer erhöhten Geschwindigkeit hatten sie noch einige Stunden Fahrt vor sich; und Isaac war nirgendwo zu sehen. Es schadete nichts, schloss Daniel, sich mit einem Philosophie-Dilettanten zu unterhalten.
    Auf der Suche nach einem passenden Himmelskörper hob er den Blick, aber es hatte sich langsam zugezogen. Er richtete ihn stattdessen auf das Flusswasser, das die Rumpfplanken entlangstrudelte, und auch auf die Schlammzonen hinter Tilbury. »Ich kann die Sonne nicht sehen – seht Ihr sie, Oberst Barnes?«
    »Wir befinden uns in England. Ich habe Gerüchte davon gehört. In Frankreich habe ich sie einmal gesehen. Aber heute nicht.«
    »Und den Mond?«
    »Er ist voll und über Westminster untergegangen, als wir am Tower Wharf geladen haben.«
    »Der Mond ist hinter der Welt, die Sonne hinter Wolken. Trotzdem gehorcht das Wasser, das uns trägt, dem Diktat beider, nicht wahr?«
    »Ich weiß aus sicherer Quelle, dass die Gezeiten heute wirksam sind«, räumte Barnes ein und sah auf seine Uhr. »Sheerness rechnet für sieben Uhr mit Niedrigwasser.«
    »Eine Springtide?«
    »Ungewöhnlich niedrig. Spürt nur, wie uns die Strömung des Flusses dahinträgt, während sie dem Meer entgegeneilt.«
    »Warum jagt die Tide ins Meer hinaus?«
    »Das liegt am Einfluss von Sonne und Mond.«
    »Doch wir beide können weder Sonne noch Mond sehen. Das Wasser besitzt weder Sinne, mit denen es sehen kann, noch einen Willen, um ihnen zu folgen. Wie also beeinflussen Sonne und Mond aus so großer Entfernung das Wasser?«
    »Durch die Schwerkraft«, erwiderte Oberst Barnes, der dabei die Stimme senkte wie ein Priester, der den Namen Gottes intoniert, und sich umblickte, um festzustellen, ob Sir Isaac Newton in Hörweite war.
    »Das sagt

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