Principia

abrechnen können. Immerhin spürte er, dass es im Großen und Ganzen abwärts ging, denn die Luft wurde immer feuchter und kälter, und die Architektur veränderte sich. Es gab weniger Holz, und was man davon noch sah, war morsch und wurde durch Mauerwerk ersetzt. Aus einer gotischen Schicht kamen sie in eine romanische oder vielleicht römische – die Grenzen waren verschwommen, denn diese Örtlichkeit war nach dem Rückzug der Römer vielleicht ein halbes Jahrtausend lang unverändert geblieben. Zeichen von Feuchtigkeit fanden sich überall, wenn auch buchstäblich stehendes Wasser selten war. Mit anderen Worten, es sah aus, als hätte man einen Weg gefunden, das Grundwasser zu kanalisieren und von dort wegzuleiten – vermutlich in den Walbrook, ein Flüsschen in der Gegend, das seine Berühmtheit dem Umstand verdankte, dass es irgendwann nach dem Untergang Roms verschwunden war.
    Nach einiger Zeit kamen sie zu einer Kammer, deren massive eisenbeschlagene Tür William mit einem Schlüssel aufschloss, der so groß war, dass er, falls die Bank einmal angegriffen würde, auch als Knüppel Verwendung finden könnte. Für ein unterirdisches Gewölbe war die Kammer groß, für eine Pfarrkirche klein. Wie eine Kirche hatte sie einen Mittelgang, der als Rinnstein genutzt wurde. Ein zwei Finger breites Rinnsal aus Grundwasser mäanderte durch Ritzen zwischen dicht gesetzten Pflastersteinen. Zu beiden Seiten des Ganges befand sich jeweils eine ebenfalls gepflasterte, erhöhte Plattform. Lattenkisten, verschlossene Kästen und Geldsäcke waren darauf gestapelt. William Ham führte die Gruppe auf die andere Seite des Raumes, wo die Plattformen einer ungepflasterten Fläche wichen und das Rinnsal aus dem Gang in einem Loch im Boden verschwand. Am Ende einer Plattform entdeckte er einen guten Platz und gab Saturn mit einer Geste zu verstehen, dass er die Kiste dort absetzen sollte. Das tat Saturn, doch Salomon bemerkte es gar nicht, da er gerade den Raum in Augenschein nahm.
    Salomon schob einen Sack mit Geld beiseite, um eine freie Stelle auf der Plattform zu schaffen, und nachdem er darauf gespuckt hatte, verrieb er den Speichel mit einem Daumen, bis er die Patina aus Staub und erstarrtem Schlamm weggewischt und im Licht von Daniels Laterne ein paar bunte Steinsplitter freigelegt hatte, die in die Oberfläche eingesetzt worden waren. Der flüchtige Eindruck eines Mosaiks.
    »Römisch?«, mutmaßte Daniel. Salomon nickte.
    »Wie ich glaube hiermit demonstriert zu haben, sind die Platten, bis die Zeit gekommen ist, sie nach St. Petersburg zu verschiffen, in diesem verschlossenen Gewölbe vollkommen sicher«, sagte William zu Salomon, als der alte Jude sich im vorderen Teil der Kammer zu ihnen gesellte. Doch Salomon starrte auf den Boden. »Bitte leiht mir Euren Schlüssel«, sagte er und streckte eine Hand aus.
    Dieses Ansinnen behagte William Ham ganz und gar nicht. Aber ihm fiel kein Grund ein, es abzulehnen, und so legte er ihn Salomon in die Hand. Der ging in die Hocke, betastete mit den Fingerspitzen ein paar Sekunden lang den Boden und führte dann den Griff des Schlüssels – der Ähnlichkeit mit einer sehr verschnörkelten Maurerkelle hatte – in das Wasserablaufloch ein. Nach kurzem forschendem Wackeln und Stochern zeigte sich plötzlich eine großer halbmondförmiger Spalt. Saturn machte einen Schritt vorwärts. »Vorsicht!«, fuhr Salomon fort, »das wird ein Brunnen sein.«
    »Woher wisst Ihr das?«
    »Das ist ein Tempel des Mithras, erbaut von römischen Soldaten«, erklärte Salomon, »und jeder derartige Tempel besaß einen Brunnen.«
    Saturn steckte die Finger in den Spalt und zog. Eine Scheibe, vielleicht zwei Fuß im Durchmesser, löste sich aus dem Boden. Sie war erst vor kurzem aus schweren Holzdielen gefertigt worden. Eine Laterne, die in die Vertiefung hinuntergelassen wurde, offenbarte einen Brunnenschacht, dessen Wand bis zum vielleicht drei Faden weiter unten liegenden Wasserspiegel mit Steinen ausgekleidet war.
    »Eure Handwerker haben den Brunnen gefunden und abgedeckt«, sagte Salomon. »Aber mehr zu ihrer eigenen Sicherheit als zu der der Bank. Ich würde den gesamten Geldbestand der Bank darauf verwetten, dass ich jetzt das Gebäude verlassen und Euch in einer halben Stunde auf der Straße treffen könnte, ohne durch die Eingangstür des Hauses gehen zu müssen.«
    »Das ist eine Wette, auf die ich nicht eingehen könnte, selbst wenn das Geld für den Einsatz mir gehörte«, sagte William Ham,