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Principia

Principia

Titel: Principia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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ich Euch nicht eigens erklären muss, liegt unseren Disputen im Bereich der Naturphilosophie genau dieselbe Verwechslung zugrunde.«
    »Ganz im Gegenteil, Gottfried, ich glaube, die Frage, wer als Erster den Kalkül erfand, lässt sich auf die simple Frage reduzieren: ›Wer hat wem was angetan?‹, oder anders gesagt: ›Was wusstest du, und wann wusstest du es?‹«
    »Daniel, stimmt es oder stimmt es nicht, dass Newton seine Arbeit über den Kalkül jahrzehntelang geheim hielt?«
    Sehr widerstrebend bejahte Daniel die Frage. Ihm war vollkommen klar, dass die Zustimmung zu irgendeiner Prämisse in einer Unterhaltung mit Leibniz einer sokratischen Bärenfalle gleichkäme, die sich wenige Minuten später krachend um sein Bein schließen würde.
    »Wer hat die Acta Eruditorum ins Leben gerufen, Daniel?«
    »Ihr und dieser andere Bursche. Hört zu, ich stelle einfach fest, dass Newton dazu tendiert, seine Arbeit geheim zu halten, während Ihr sehr eifrig darin seid, die Eure zu veröffentlichen.«
    »Und seine Ergebnisse geheim zu halten – sie nur einer ganz kleinen Zunft zugänglich zu machen – ist ein Kennzeichen welcher Gruppe?«
    »Der Esoterischen Bruderschaft.«
    »Auch bekannt als -?«
    »Alchimisten«, schnappte Daniel.
    »Es wäre also nie zum Prioritätsstreit gekommen, wäre Sir Isaac Newton nicht gründlich von der Alchimistenmentalität infiziert.«
    »Stimmt«, seufzte Daniel.
    »Es ist also ein philosophischer Streit. Daniel, ich bin ein alter Mann. Ich war seit 1677 nicht in London. Wie groß ist die Chance, dass ich noch einmal herkomme? Und Newton, der noch nie außerhalb von England war, wird nicht zu mir kommen. Eine andere Gelegenheit, ihn zu treffen, werde ich nicht haben. Ich werde inkognito in London bleiben – niemand muss je erfahren, dass ich hier war – und einen Weg finden, Newton in einen philosophischen Diskurs zu verwickeln, und ihm aus diesem Labyrinth heraushelfen, in dem er so viele Jahre umhergewandert ist. Es ist ein Labyrinth ohne Dach mit ungehinderter Sicht auf die Sterne und den Mond, die er besser als irgendjemand sonst versteht; sobald Newton allerdings den Blick auf das richtet, was unmittelbar vor ihm liegt, findet er sich, gefangen und verirrt, in dunklen, gewundenen Wegen wieder.«
    Daniel gab auf. »Dann betrachtet Euch als Mitglied unseres Clubs«, sagte er. »Meine Stimme habt Ihr. Weder Kikin noch Orney werden es wagen, einem Gelehrten ihre Unterstützung zu versagen, dessen Schädel noch von den Knöchelabdrücken Peters des Großen glüht. Newton würde gewiss gegen Euch stimmen. Aber er hat vor ein paar Nächten mit dem Opfer des Clubs einen Separatfrieden geschlossen und jetzt keine Veranlassung mehr, unsere Zusammenkünfte zu besuchen.«
     
     
    Jewgeni, der Raskolnik, war wie ein Baum in den Staub von Hockley-in-the-Hole gefallen. So wie es aussah, hatte er sich gut präsentiert. In dieser Haltung, das heißt auf dem Rücken liegend, das Gesicht zum Himmel gewandt und von dem eisengrauen Haarschopf eingerahmt, war offensichtlich, dass er an die sechzig Jahre alt sein musste. Wäre er Peter vom Alter her näher (der Zar war zweiundvierzig) und im Besitz seiner beiden vollständigen Arme gewesen, wäre der Kampf womöglich anders verlaufen. Unter den gegebenen Umständen konnte Daniel das nur als eine spektakuläre Form des Selbstmords interpretieren. Dabei fragte er sich unwillkürlich, ob Jewgeni von der heutigen Umladung des Goldes von der Minerva gewusst hatte und deshalb auf den Gedanken gekommen war, dass folglich seine Zeit auf dieser Erde beendet war.
    »Das war ein sonderbarer Kerl, der Jack über viele Jahre treu ergeben war, in den letzten Jahren jedoch seinen eigenen Weg ging und versuchte, die neuen Schiffe des Zaren in Rotherhithe zu verbrennen, noch während er sich mit Jack verschwor, um in den Tower einzudringen und die Pyx zu manipulieren«, erklärte Daniel Leibniz. »Er war ein großer Schurke. Trotzdem ist es eine Schande, ihn oder einen anderen so daliegen zu sehen, ohne dass sich jemand um ihn kümmert.« Genau in dem Moment erblickte er jedoch Saturn, der mit ein paar Burschen und einem leeren Wagen im Schlepptau auf dem Weg zu ihm war.
    Daniel, Leibniz und Salomon holten Peter und sein Gefolge in Clerkenwell Court ein, als diese gerade den Rückweg nach Rotherhithe antreten wollten. Daniel gab ihnen einen Brief an Mr. Orney mit, in dem stand, dass der Urheber des Brandanschlags auf seine Werft tot war. Leibniz empfahl sich dem Zaren,

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