Principia
»denn ich kann genau wie Ihr den Luftzug riechen und fühlen, der aus dem Schacht aufsteigt.«
»Der Brunnen hat tatsächlich einen Seitentunnel!«, rief Saturn aus, der auf dem Bauch lag und Kopf und Schultern in den Schacht gesteckt hatte. »Ungefähr auf halbem Weg nach unten. Ich hätte gute Lust, eine der Handwerkerleitern zu holen und nachzuschauen!«
Das war verrückt. Aber nachdem Saturn den Gedanken erst einmal geäußert hatte, konnte ihm niemand widerstehen. Leitern fanden sich überall. Sie ließen eine in den Brunnen hinab und stellten sie auf den Boden des Seitentunnels, den Saturn entdeckt hatte. Er stieg als Erster hinunter und berichtete, dass die Maurer des Mithras-Tempels ihre Arbeit gut gemacht hatten.
»Wie auch nicht«, gab Salomon zurück, »war Mithras doch der Gott der Verträge.«
»Der Gott der Verträge ?!«, entfuhr es William Ham.
»Genau«, sagte Salomon, »und deshalb ist es gut für Euch, dass Ihr Eure Bank auf diesen Tempel gegründet habt.«
»Dieser Mithras erscheint in keinem Pantheon, das ich kenne.«
»Er war auch keiner der olympischen Götter, sondern einer, den die Griechen sich von den Persern borgten, die ihn wiederum von Hindustan ausgeliehen hatten. Von Griechenland aus gelangte dieser Kult auch zu den Römern, wo er etwa um das, was Ihr das Jahr des Herrn 100 nennt, oder, wie ich es formulieren würde, einige Jahre nach der Zerstörung von Salomons Tempel, an Beliebtheit gewann. Vor allem unter Soldaten, etwa unter denen, die in Londinium entlang der Ufer des Walbrook in Garnison lagen.«
Mit diesen Worten war Salomon auf die Leiter geklettert.
»Ihr geht doch nicht da hinunter?«
»Mr. Ham, ich bin vom Zaren hierhergeschickt worden, um die Sicherheit der Bank zu prüfen«, sagte Salomon, »und genau das werde ich auch tun!«
Daniel folgte Salomon die Leiter hinunter. Drei von ihnen hockten jetzt zusammen in einem gewölbten Tunnel, der in die Erde hineinführte und zu dem Brunnen hin leicht abfiel, sodass auch er als Ablauf diente. William Ham war zurückgelassen worden, um im Tempel des Mithras Wache zu sitzen und Hilfe zu holen, falls sie nicht mehr auftauchen sollten. Doch schon nachdem sie sich ein kurzes Stück durch den Tunnel geschoben hatten, verspürten sie Platz über sich und stießen auf Steinstufen, die nach rechts abbogen und sie zum Grundwasserspiegel hinabführten. Ein Bach, vielleicht acht Fuß breit, floss träge in die Dunkelheit davon, wobei er sich um Stützpfeiler, Steindämme und Grundmauern herumwand, von denen man nur annehmen konnte, dass sie Gebäude oben auf der Straße trugen. Bei regnerischem Wetter hätten sie vielleicht anhalten und umkehren müssen. Aber es war der erste August, und solange sie sich an der Seite des Tunnels hielten, stieg der Wasserspiegel nicht über ihre Fußknöchel. So wagten sie sich flussabwärts voran, richteten beim Gehen ihre Laternen auf Wände und Grundmauern und stellten Vermutungen darüber an, zu welchem Gebäude sie wohl gehörten.
»Während der Pest«, sagte Daniel, »vergrößerte mein Onkel Thomas Ham – Williams Vater – den Keller seines Goldschmiedeladens, der höchstens einen Steinwurf von hier entfernt liegen dürfte. Er entdeckte ein römisches Mosaik und verschiedene heidnische Münzen und Gegenstände. Meine Frau in Boston trägt einen davon im Haar.«
»Was stellte das Mosaik dar?«, fragte Salomon.
»Ein paar Gestalten, die an Merkur erinnerten. Mr. Ham nannte das Mosaik Tempel des Merkur und machte es zu einem guten Omen. Es enthielt jedoch noch andere Bilder, die seine Meinung in Frage stellten -«
»Raben?«
»Ja! Woher wisst Ihr das?«
» Corax , der Rabe, war für die Perser ein Götterbote -«
»- wie Merkur für die Römer.«
»So ist es. Die Anhänger des Mithras glaubten, dass die Seele, während sie aus der Sphäre der Fixsterne herabstieg, um auf der Erde Mensch zu werden, auf ihrem Weg alle Planetensphären durchlief und ihrerseits von jeder beeinflusst wurde. Beim Durchlaufen der Sphäre der Venus wurde die Seele liebeshungrig und so weiter. Die innerste Sphäre und gleichzeitig die letzte, die Einfluss auf die Seele ausübte, war die des Merkur oder Corax. Die Anhänger dieses Kultes glaubten, dass die Seele, wenn sie sich auf den Tod und die Rückkehr in die Sphäre der Fixsterne vorbereitete, diese Wanderung umkehren und als Erstes die Insignien des Merkur-Corax ablegen musste, dann die der Venus etc. und zum Schluss -«
»Saturn?«, riet
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