Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Principia

Principia

Titel: Principia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
Vom Netzwerk:
ausdrucksstarke Augen wanderten für einen Moment zu Daniels Hand. Normalerweise machte sich niemand die Mühe, Daniels Hände zu betrachten, nein, weder die linke noch die rechte. Sie verfügten über die komplette Zahl an Fingern, waren nicht im Old Bailey gebrandmarkt worden und waren ungeschmückt – normalerweise. Heute jedoch trug Daniel an seiner rechten Hand einen einfachen goldenen Ring. Da er nie zuvor Schmuck getragen hatte, war er erstaunt darüber, wie stark dieser Gegenstand die Aufmerksamkeit der Leute anzog.
    » Eine Betrachtung über die Macht «, antwortete Marlborough, »Seite zwei.«
    »Klingt passend, wenn ich wirklich so mächtig bin, wie Ihr sagt. Wer hat es denn geschrieben?«
    »Das ist es ja gerade«, erwiderte Marlborough, »das Außergewöhnliche: Es gibt einen Burschen mit dem Nom de plume Peer -«
    » Der hat es geschrieben?!«
    »Nein, aber er hat im Clink einen Mohren entdeckt, ein äußerst bemerkenswertes Exemplar. Natürlich ist er kein empfindendes Wesen – aber er besitzt die einzigartige Gabe, so schreiben und sprechen zu können, als wäre er eines.«
    »Ich habe ihn kennengelernt«, sagte Daniel. Seine Augen hatten sich endlich so weit angepasst, dass er die Verfasserzeile DAPPA entziffern konnte. Er schaute zum Herzog auf und dann wieder weg, weil vor dessen rechtem Ohr eine dicke Blutperle austrat und an seiner Kinnpartie entlanglief, um das Linnen unter seinem Kinn zu beflecken. Der Herzog zuckte erneut zusammen. »Passt doch auf, Kerl, ich bin nicht hergekommen, um an Wundstarrkrampf zu verenden.«
    Daniel warf einen forschenden Blick auf die anderen fünf Anwesenden, die ihn mit einem so qualvollen Lächeln bedachten, wie es niemand mehr getan hatte, seit er am Hof von James II. eine halbwegs wichtige Rolle gespielt hatte.
    Der Herzog war wieder kahl. Zwei Kammerdiener standen mit Lappen in der Hand nervös hinter ihm und schossen immer wieder vor, um eine Blutung zu stillen. Der Herzog fand einen Handspiegel, hielt ihn einen Moment lang hoch und verzog das Gesicht. »Potzblitz«, sagte er, »ist das hier eine Rasur oder eine Trepanation ?« Hastig legte er den Spiegel weg, als hätte ein Leben voller Gefechte mit Muskete und Schwert ihn auf so etwas nicht vorbereitet. Auf seinem Schoß lag eine Menge Post – mehr als Daniel in einem Jahrzehnt erhielt -, und es dauerte eine Weile, bis er fand, was er suchte. Daniel betrachtete den Herzog neugierig. John Churchill war der hübscheste junge Mann in England, ja vielleicht sogar der ganzen Christenheit gewesen. Die göttliche Ungerechtigkeit dauerte selbst jetzt, im fünfundsechzigsten Lebensjahr des Herzogs, noch an. Er war alt, teigig, kahl und blutete, hatte aber eine wirklich vornehme Haltung, was längst nicht auf alle Adligen zutraf, und seine Augen waren so groß und schön wie eh und je, unbeeinträchtigt durch Tränensäcke und gewundene Augenbrauen, durch die alte Engländer oft so furchterregend anzuschauen waren.
    »Hier ist es!«, verkündete er und schlug einen Brief mehrmals an sein Knie, als wäre das notwendig, um dessen Wörter in der richtigen Reihenfolge zu stapeln. »Von Eurem Mitregenten!«
    »Mylord Ravenscar stand auch auf Bothmars Liste?«, fragte Daniel, denn er hatte die Handschrift und das Siegel bereits erkannt.
    »Aber ja doch«, sagte Marlborough, »ein klarer Favorit für den Posten des nächsten Lord Oberschatzmeisters. Denn wer kennt sich besser mit der Funktionsweise von Bank, Münze, Schatzamt und Börse aus als Ravenscar?« Er überflog den Brief von Roger. »Ich werde nicht alles lesen«, beruhigte er ihn. »Grüße, Glückwünsche etc. – und er lädt mich und Mrs. Churchill zu einer Soirée in seinem Haus am ersten September ein.« Er hob den Blick von der Seite und richtete ihn mit einem Anflug von Verwirrung auf Daniel. »Haltet Ihr es für schicklich , so kurz nach dem Tod der Königin eine Gesellschaft zu geben, Mylord?«
    »Bis zum ersten September wird ein Trauermonat verstrichen sein, Mylord«, begann Daniel, »und ich bin sicher, dass es eine geschmackvolle Angelegenheit wird, zurückhaltend, wie es sich gehört -«
    »Hier verspricht er wörtlich, seinen Vulkan ausbrechen zu lassen!« Das rief Gekicher bei den bislang schweigenden fünf hervor.
    »Während wir unsere verstorbene Königin betrauern, dürfen wir nicht versäumen, unseren neuen König zu feiern, Mylord.«
    »Na, wenn Ihr es so formuliert, werde ich wohl doch hingehen«, sagte der Herzog. »Ich habe den

Weitere Kostenlose Bücher