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Pringle vermisst eine Leiche

Pringle vermisst eine Leiche

Titel: Pringle vermisst eine Leiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Livingston
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auch nötig gehabt», sagte sie. «‘n bißchen was Lebhaftes — Sie
war’n ja so furchbar eingeschüchtert.»
    Und plötzlich kehrte die
Erinnerung zurück, genau, wie er gehofft — aber auch gefürchtet — hatte. Es war
hier in diesem Zimmer gewesen. Elsie hatte auf dem Sofa gesessen, das eine Bein
auf den Hocker gelegt, und er hatte vor ihr gekniet, neben sich eine Schüssel
mit warmem Wasser, um ihr das angeblich aufgeschürfte Knie zu waschen und dann
zu verbinden.
    «Sie haben mich damals
angelogen!» Es war nun schon fast fünfzig Jahre her, und doch war er in diesem
Moment wieder fast genauso empört wie damals. Sie griente.
    «Sie ham doch immer damit
angegehm, daß Sie bei’n Pfadfindern Erste Hilfe hätt’n...»
    «Aber das mit dem Knie war nur
ein Vorwand...» Vor ihr auf dem Boden kniend, hatte er plötzlich entdeckt, daß
sie keinen Schlüpfer trug.
    Sie waren beide still, jeder in
seine Erinnerungen versunken. Er hörte das Ticken der Uhr und das Schnurren des
jungen Kätzchens, dem die Mutter das Fell leckte. Elsie brach das Schweigen.
    «Ich hab nix von Ihn’ verlangt,
ich wußte ja, daß Sie von Ihrer Großmutter nur zwei Shilling die Woche kriegten
— und manchmal auch gar nix, wenn’s knapp war. Nich mal ‘n Sixpence wollt ich
ham.»
    «Das stimmt», sagte er und
räusperte sich. «Eigentlich war es wirklich ein sehr großherziges Angebot.» Er
meinte es ehrlich.
    «Aber Sie ham’s nich angenomm’.
War’n zu vornehm dafür.» Man merkte ihr an, daß sie über die alte Zurückweisung
noch immer gekränkt war.
    «Nicht zu vornehm, nur noch zu
unreif, Elsie, glaube ich», sagte er sanft.
    «Ham Se’s denn inzwischen
nachgeholt?»
    «Ich denke schon.»
    «Glaub ich gern. Die
rothaarigen Frauen sind alle gleich, alle verrückt nach Sex.»
    Mr. Pringle reichte ihr die
Hand. «Und richten Sie Ihrem Bruder aus, er soll bei seinen nächtlichen
Unternehmungen aufpassen.»
    Sie grinste. «Tut er sowieso.
Den hamse noch nie erwischt, den Eddie.» Mr. Pringle hoffte, daß es so blieb.
Er beugte sich vor und gab ihr zum Abschied einen Kuß auf die runzlige, etwas
schmutzige Wange.
    «Es war wirklich ein sehr
großherziges Angebot», wiederholte er leise.
    «Na», grummelte sie, «dann gehn
Se jetz man besser. Ich weiß ja, daß Se jetz auf Rente sind, und ich nehm
inzwischen fünf Pfund.»
    Als er wieder im Auto saß,
wurde ihm plötzlich ganz wehmütig zumute. «Stell dir bloß vor, Elsie und meine
Vorfahren haben seit undenklichen Zeiten zusammen hier in Wuffinge gelebt.»
    «Ja», versetzte Mavis bissig,
«und es gehört nicht viel Phantasie dazu, sich vorzustellen, daß schon ihre
Ur-Ur-Urgroßmutter ihr Geld auf dieselbe Art und Weise verdient hat wie diese
Elsie — damals vermutlich noch unten im Gewölbe.»
    «Oh, ich glaube nicht, daß...»
begann er, doch sie unterbrach ihn.
    «Halt mal an! Da vorne kommt
gerade Felicity aus dem Polizei-Caravan. Mein Gott, wie sieht sie denn aus?!»
Sie sprang hinaus und eilte zu Felicity hinüber. «Was ist los?» rief sie. «Ist
irgend etwas nicht in Ordnung?» Mr. Pringle erblickte einen Moment lang
Felicitys tränenüberströmtes, entsetztes Gesicht. Sie schien wirklich völlig
verstört. Er stieg ebenfalls aus.
     
     
     

Kapitel zwölf
     
    «So...» Detective Inspector
Andrews lehnte sich zurück und nahm einen Schluck Kaffee. «Fassen Sie es doch
bitte für John noch einmal kurz zusammen.» Und zu Mather gewandt, sagte er:
«Tracy hat den alten Leveret mit viel Geduld zum Reden gebracht.» Detective
Sergeant Mather nickte. Er war gespannt, was jetzt kommen würde.
    «Cyril Leveret wurde mit
achtzehn Jahren in eine Nervenklinik eingewiesen», begann Tracy Tyler. «Es
handelte sich bei ihm wohl um einen jener Fälle, in denen sich die Familie
eines ungeliebten Kindes entledigt mit der Behauptung, es sei asozial und
gewalttätig. Es stimmt zwar, daß Cyril ein paarmal mit dem Gesetz in Konflikt
geraten war, aber ich denke, daß das eine Reaktion auf seinen überstrengen Vater
war. Dieser scheint ein ausgesprochen brutaler Mann gewesen zu sein, jedenfalls
hat er seinen Sohn häufig verprügelt. Irgendwann hat Cyril es dann nicht mehr
ertragen und zurückgeschlagen — kräftig genug war er inzwischen. Der Vater
hatte eine Gehirnerschütterung und einen gebrochenen Unterkiefer. Die Leverets
waren sehr vermögend. So brachten sie ihn nicht vor Gericht, sondern sorgten
statt dessen dafür, daß Cyril in einer privaten Nervenklinik verschwand.

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