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Pringle vermisst eine Leiche

Pringle vermisst eine Leiche

Titel: Pringle vermisst eine Leiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Livingston
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den Mund zu einem höhnischen
Grinsen verzogen. Und jeden Moment entdeckte Mr. Pringle neue Details. «Was für
ein großartiges Gemälde!»
    Der Pfarrer war bemüht, sich
seine Erregung nicht allzu sehr anmerken zu lassen.
    «Finden Sie?»
    «Aber ja! Und die Restauratoren
haben wunderbare Arbeit geleistet, die Farben wirken ganz frisch, sie scheinen
kaum verblaßt. Sind die anderen Fresken in genausogutem Zustand?»
    «Das kann ich Ihnen nicht
sagen.» Der Pfarrer zuckte die Achseln. «Was die Farbenfrische angeht, das
liegt daran, daß der Kalkstein offenbar die Pigmente geschützt hat. Robert, der
Chefrestaurator, hat mir gesagt, daß zwei weitere Bilder ebenfalls in sehr
gutem Zustand seien, aber dies hier ist das einzige, das ich bisher mit eigenen
Augen gesehen habe. Wenn Sie jetzt bitte mit anfassen würden.»
    Mr. Pringle fand die Abdeckung
schwerer als gedacht. Wie sich zeigte, paßte sie so genau, daß das Wandgemälde
vor jedem Lichteinfall sicher war.
    Mrs. Leveret hatte bisher noch
keinen Kommentar abgegeben. Jetzt holte sie tief Luft und sagte zögernd: «Ich
verstehe nicht viel von Kunst, aber das Gemälde wirkt sehr... lebendig.»
    «Ja, noch viel lebendiger als
ein Brueghel», stimmte Mr. Pringle ihr begeistert zu. «Es ist wirklich
jammerschade, daß es jetzt wieder abgedeckt wird.»
    «Ja, und das wird es wohl auch
in Zukunft die meiste Zeit über sein. Man hat mir gesagt, daß die Farben unter
Lichteinwirkung sehr schnell verblassen würden. Der Künstler damals hat
offenbar sehr einfache Farben benutzt, besonders bei den Bildern dort drüben.»
Der Pfarrer zeigte auf die beiden Abdeckungen rechts und links des
Aussätzigenfensters. «Die beiden sollen in sehr schlechtem Zustand sein. Osmose
und aggressive Salze. Es steht noch nicht einmal fest, ob wir sie am Freitag
überhaupt zeigen können. Falls ja, müssen sie unbedingt auch vor Kunstlicht wie
etwa Fernsehscheinwerfern usw. geschützt werden. Sie sind übrigens hinter
Rauchglasscheiben, so daß es sehr schwierig sein dürfte, überhaupt etwas zu
erkennen.»
    «Es ist unsere Pflicht, die
Bilder für künftige Generationen zu erhalten», verkündete Mrs. Leveret
feierlich.
    «Ja natürlich, gar keine
Frage.» Der Pfarrer lachte. «Ich muß sagen, daß ich jetzt, wo ich das eine
Gemälde gesehen habe, erst recht gespannt bin auf Freitag.»
    «Das geht mir genauso», sagte
Mr. Pringle. «Ich werde auf jeden Fall erst nach London zurückfahren, nachdem
ich die Fresken gesehen habe.»
    «Sie sagten vorhin, daß Sie
früher einmal hier gelebt haben?» erkundigte sich der Pfarrer.
    «Bei seiner Großmutter, während
des Krieges», warf Mrs. Leveret überraschend dazwischen. Sie sah ihn an. «Einer
der De’aths hat Sie heute morgen erkannt. Sie sind der junge Pringle, habe ich
recht? Ihre Großmutter hatte ihr Häuschen da, wo jetzt die gemeindeeigenen
Häuser stehen, nicht wahr? Ich war mit Ihrer Schwester Enid in einer Klasse.»
    Der junge Pringle! Er hätte sie
umarmen mögen.
    «Wie geht es Enid?» fragte sie.
    «Oh, äh, ganz gut, glaube ich.
Wir haben ein wenig die... Verbindung verloren.» Kein Wunder, dachte Mr.
Pringle, schließlich hatte er Enids Sohn, seinen Neffen Matthew, wegen Mordes
vor Gericht gebracht. «Wie es eben so geht, Sie wissen ja...» setzte er
verlegen hinzu.
    «Und was führt Sie jetzt nach
Wuffinge?» wollte sie wissen. «Für das Blumenfest sind Sie zu früh.»
    Mr. Pringle nickte. «Ja, ich
bin auch aus einem anderen Grund hier.» Er machte eine feierliche Pause. «Ich
bin zu meinen Ahnen zurückgekehrt.»
    «Zu Ihren Ahnen?» fragte der
Pfarrer verblüfft.
    «Ja, zu meinen Ahnen. Meine
Großmutter und auch meine Urgroßmutter liegen auf dem Friedhof hier begraben —
und vielleicht sogar noch weitere Vorfahren, wer weiß.» Mit einer weit
ausholenden Armbewegung deutete er auf die Fresken. «Möglicherweise haben
einige von ihnen sogar für die hier dargestellten Personen Modell gestanden.»
Mrs. Leveret schnaubte vernehmlich durch die Nase.
    «Also Mitglieder meiner Familie
haben sich zu so etwas bestimmt nicht hergegeben. Der Adam und die Eva waren ja
vollständig nackt! Ich heiße übrigens Doris, verehelichte Leveret. Wenn Sie
Enid das nächste Mal sehen, dann grüßen Sie sie doch bitte von mir. Und jetzt
kommen Sie am besten gleich mit. Wir haben zu tun.»
    Gehorsam folgte Mr. Pringle ihr
nach draußen. Wenn sie ungefähr in Enids Alter war, dann mußte sie fünf oder
sechs Jahre jünger sein als er selber. Aber

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