Printenprinz
alle Sorgen mit einem Schlag aus der Welt. Niemals würde ans Licht kommen, dass er beinahe für den Wegzug einer der bekanntesten Aachener Printenbäckereien verantwortlich gewesen wäre. Er würde klammheimlich die Aktennotizen und Gesprächsvermerke tilgen, die er in seiner Dokumentenmappe gehortet hatte. Von von Sybar ging keine Gefahr mehr aus … oder?
Konnte es nicht sein, dass der Kerl selbst eine eigene Akte über diesen Vorgang angelegt hatte? Es gab nichts Schriftliches, allerdings Gespräche, mündlich vorgetragene Drohungen und die Erklärung von von Sybar, Aachen zu verlassen. Und die andere Seite? Das Geld, das er dafür angenommen hatte, um von Sybar das Leben schwer zu machen. Er würde mit seinem Auftraggeber reden müssen. Auch hier würde, wenn es einmal hart auf hart kommen sollte, Aussage gegen Aussage stehen. Andererseits konnte es sich sein Hintermann gar nicht leisten, dass ihr kleines, Gott sei Dank geplatztes Geschäft publik wurde.
Er würde ihm das Geld zurückzahlen, beschloss Weinberg, zur Not sogar mit Zinsen, und wenn er dafür einen Kredit aufnehmen musste. Damit müsste die Sache erledigt sein – so wie von Sybar.
7.
Es gab sicherlich idyllischere Momente als ein regennasser, windig kalter Sonntag im November auf den Höhen der Nordeifel, bei einem Wetter, bei dem man bekanntermaßen keinen Hund auf die Straße jagt. So ließ sich an diesem Morgen fast niemand in Huppenbroich blicken und die Wochenendbewohner blieben lieber in Köln, Bonn oder Düsseldorf, anstatt in ihre Häuser in die vom Wetter geplagte Eifel zu fahren.
Aber der unwirtliche Schein trog. Lieselotte und Böhnke lebten die Idylle in ihrem Häuschen. Sie hatten die Glut im Kachelofen über Nacht am Leben gehalten und am Morgen nachgelegt, sodass es in den Räumen wohlig warm war. Nach Lieselottes Worten war es ein Tag, um sich auf die faule Haut zu legen, obwohl sie vor Energie sprühte und sie viele Dinge vor sich sah, die noch in diesem Jahr an Haus und Garten zu erledigen waren. Doch dieser Tag war nicht dafür geeignet, um Bäume oder Büsche zu beschneiden oder die Dachrinne zu reinigen.
»Du setzt dich in die Ecke und behinderst mich nicht, wenn ich die Wohnung auf Vordermann bringe«, bestimmte sie scherzhaft, wohl wissend, dass Böhnke in ihren Augen nicht gerade der perfekte Saubermann war und er zudem nur darauf wartete, endlich in von Sybars Aufzeichnungen blicken zu können.
Böhnke zog sich in das kleine Gästezimmer unter dem Dach zurück, in dem es gerade einmal Platz für ein Bett und einen Schrank gab. Auch ließ das kleine Fenster in der Schräge nur wenig Tageslicht in den Raum. Böhnke kümmerte das nicht, Hauptsache, er konnte unbehelligt lesen. Er setzte sich aufs Bett und war schnell im Text vertieft.
Er las zunächst von hinten nach vorn, merkte jedoch bald, dass ihm immer ein paar Aspekte fehlten, um die Notizen vollständig zu verstehen. Die Aufzeichnungen in dem Buch, das er in den Händen hielt, begannen im März und beschäftigten sich bei Weitem nicht nur mit Geschäftlichem. Von Sybar hatte auch viel Privates einfließen lassen. Vornehmlich seine Beziehung zu der Ärztin Dr. Margarethe Schönmakers, die als Zufallsbekanntschaft bei einer Karnevalssitzung der Öcher Penn im Eurogress begonnen hatte, nahm viel Raum ein. Nach von Sybars Berichten zu urteilen, war diese Frau das zweite große Glück seines Lebens. Böhnke hatte keinen Zweifel, dass von Sybars Aussagen ihm gegenüber stimmten. Er war in der Tat mit dieser Frau zu einer Reise rund um die Welt aufgebrochen, jedoch ohne feste Route und ohne einen Zeitplan. »Sollte es sein, dass ich unterwegs sterbe, dann ist es so«, hatte von Sybar pragmatisch notiert.
»So seid ihr Männer«, lästerte Lieselotte, als Böhnke ihr beim provisorischen Mittagstisch davon berichtete. Sie wollte sich beim Hausputz ebenso wenig unterbrechen lassen wie er bei seiner Lektüre. »Da sterbt ihr einfach vor unseren Augen und wir können uns darum kümmern, wie wir euch unter die Erde kriegen. ›Da bin ich eben einfach mal tot, na und?‹«
Schnell klettere Böhnke über die schmale Treppe wieder ins Gästezimmer und genehmigte sich zunächst einen Mittagsschlaf. Das Lesen und das Nichtstun ermüdeten mehr als der normale Alltag, an dem er morgens seinen Spaziergang machte, einkaufte oder ein wenig herumwerkelte. Nach einer knappen halben Stunde war die Konzentration zurück. Er las in einem Zuge den Text durch und staunte über den Inhalt,
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