Printenprinz
aber auch über die gestochen klare Handschrift von von Sybar. Es gab keinerlei Veränderungen im Schriftbild, weder im Laufe der Zeit noch während eines Berichts.
»Hallo! ›Tatort‹-Time, Commissario!«
Erschrocken fuhr er auf. In der Tat war der Tag verflogen. Er konnte sich nicht einmal daran erinnern, dass er am Nachmittag die Bettleuchte angeschaltet hatte, als die Dämmerung einsetzte.
Der Sonntagskrimi war eine der wenigen Gepflogenheiten, die sie beide vor den Fernseher brachte. Sie konnte immer herzhaft über die dummen Kommissare herziehen, er wunderte sich immer, wie einfach doch das Ermittlerleben auf dem Bildschirm war. Mit seinem ehemaligen Beruf hatte der Fernsehkrimi nicht viel Ähnlichkeit.
»Und hast du was herausgefunden?« Eher beiläufig stellte Lieselotte die Frage, während sie einige Schnittchen auf den Tisch stellte.
»Das kann man wohl sagen.« Böhnke reckte sich im Sessel. »Von Sybars Tagebuch ist gut zu lesen und sein Inhalt sehr aufschlussreich.« Er griff danach und blätterte darin. »Was von Sybar da manchmal vom Stapel lässt, ist schon erstaunlich. Ich glaube, der war voll und ganz auf seinen Schwiegersohn fixiert. Da gab es ein absolutes Vertrauensverhältnis. Hier ein Beispiel.«
Er rückte ein wenig näher an die Lampe und las vor, immer noch ohne Brille, was Lieselotte einfach nicht verstehen konnte. Der Mann musste Augen wie ein Adler haben, vermutete sie ein wenig neidisch, weil sie schon seit Jahren mit einem Nasenfahrrad auskommen musste.
»Als ich Peter darauf hinwies, dass Elisabeth verdächtig oft mit Landmann zusammen ist, hat er nur gelacht und gesagt, das soll ich nicht überbewerten. Er hat mir die Bemerkung nicht übel genommen, sondern mir versprochen, mich sofort zu informieren, wenn er etwas merken würde.« Böhnke legte das Buch wieder ab. »So schreibt er oft über das Privatleben seiner Tochter und seines Schwiegersohns. Peter will ihn mit in den Urlaub nehmen, doch er lehnt ab, weil er nicht zur Last fallen will, was Peter wiederum abstreitet. Erstaunlicherweise hat er nur Peter etwas von seiner Ärztin gesagt, nicht aber Elisabeth, und Peter hat ihm versprochen, mit niemandem darüber zu reden. Peter hat ihm auch bei der Organisation der Weltreise geholfen. Die haben ein paar Dinge rausgesucht, die würde ich nie machen, etwa Hanggliding in Florida, bei dem der Gleitschirm mit einem Ultraleichtflieger in die Luft gezogen wird wie ein Segelflugzeug mit einem Motorflieger, oder etwa die Jagd auf Monsterkrabben mit einem Schlauchboot in der Barentsee. Da ist der Besuch der Chinesischen Mauer fast schon langweilig, genauso wie eine Kajaktour auf einem Fluss in Kanada.«
»Aber du weißt nicht, wo sich der von Sybar und seine Ärztin jetzt aufhalten?«, unterbrach ihn Liselotte.
»Nein. Die wollten, so steht es jedenfalls in dem Buch, morgens mit einem Taxi losfahren. Ob zum Bahnhof oder zu einem Flughafen oder einem Autoverleih – keine Ahnung. Die sind aus der Welt.«
»Könntest du herausfinden, wo sie sich aufhalten?«
»Bestimmt«, antwortete Böhnke. »Irgendwann brauchen die ja Bargeld oder zahlen mit einer Kreditkarte. Dann könnte man ihren Weg nachverfolgen. Derzeit habe ich jedoch anderes im Sinn.«
»Und was?« Lieselotte ahnte, was sich da zusammenbraute. Aber in gewisser Weise hatte sie es ja auch provoziert, gestand sie sich ein.
»Nun, ich will herauskriegen, warum Peter von Sybar sterben musste.«
»Hast du denn Hinweise gefunden in dem Buch?«
Böhnke verneinte. »Damit konnte ich auch nicht rechnen. Es gibt jedoch Querverweise.« Er blätterte wieder in dem Buch. »Hier«, er zeigte auf eine Fußnote. »Von Sybar hat bei bestimmten Zusammenhängen zusätzliche Angaben gemacht. Auch wenn sie nur aus Symbolen, Zahlen oder Buchstaben bestehen. Damit müssten die Aktenordner von Peter von Sybar gemeint sein.«
»Die du dir ansehen wirst.« Was wie eine Feststellung klang, war von Lieselotte als Frage gemeint.
»Wahrscheinlich.«
»Bestimmt.«
»Wieso?« Er war verwundert.
Lieselotte lächelte ihn an. »Bevor ich einen griesgrämigen Mann wie einen festgeketteten Zirkuselefanten eine Woche lang in Huppenbroich ertrage, besorge ich ihm lieber den Stoff, der sein Leben lebenswert macht.«
Was sie damit meinte, verstand Böhnke sofort. In den vielen Jahren ihres Zusammenlebens kannte er sich in den Gedankengängen seiner Liebsten bestens aus.
»Wir werden jetzt nach Aachen fahren«, schlug sie vor. »Du kannst dir dann die
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