Printenprinz
Nebenkläger in der Strafsache Waldowski. Als Generalbevollmächtigter der Familie von Sybar gehört es auch zu meinen Aufgaben, ihre Rechte im Strafverfahren gegen denjenigen zu vertreten, der Peter von Sybar auf dem Gewissen haben soll.«
Grundlers Wortwahl ließ Böhnke aufhorchen. »Was meinst du mit ›auf dem Gewissen haben soll‹? Glaubst du etwa nicht an die Täterschaft von Walderotsky oder wie der heißt?«
»Waldowski heißt der Tatverdächtige, und ich schließe es nicht aus, dass er die Tat nicht begangen hat.«
»Und warum nicht?«
»Weil ich Waldowski kenne. Er ist zwar keine Intelligenzbestie, aber er ist auch kein Killer.« Der Anwalt lächelte den erstaunten Böhnke an. »Ich habe ihn damals vor der Jugendstrafkammer verteidigt, als er wegen der Steinwürfe von der Brücke auf die Bundesstraße angeklagt war. Im Prinzip ein Dummer-Jungen-Streich, für den er schwer büßen musste. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass nicht er einen Klotz oder was auch immer auf von Sybars Porsche gekippt hat. Aber ich weiß es nicht. Deshalb habe ich mich als Nebenkläger für die Familie von Sybar gemeldet und Akteneinsicht beantragt. Ich hatte auch mit dem Gedanken gespielt, mich ihm als Verteidiger anzubieten. Aber das hätte verständlicherweise zu einem Interessenkonflikt geführt. Die Staatsanwaltschaft hat im Prinzip nichts dagegen, mich in die Akten schauen zu lassen, wohl aber unser spezieller Freund Schulze-Meyerdieck. Er will erst die Vernehmung komplett abschließen und seinen Bericht verfassen, ehe ich Zugriff erhalten soll.«
»Der hat doch nichts zu befürchten«, meinte Böhnke.
»Wenn alles mit rechten Dingen zugegangen ist, dann ist das richtig. Aber mich hat es neugierig gemacht, wie es zu dem Geständnis gekommen sein soll. Erinnerst du dich an SMs Auftritt im Fernsehen?«
Böhnke lehnte sich in den Sitz zurück und dachte mit geschlossenen Augen nach. Was hatte SM gesagt? Dann fiel ihm fast wortwörtlich dessen Mitteilung wieder ein: Zwar habe der Festgenommene noch kein Geständnis im juristischen Sinne abgelegt, aber es sei nur eine Frage der Zeit.
»Und wozu das Ganze?«
»Um sicherzugehen, dass es tatsächlich kein Attentat war, das ausschließlich Peter von Sybar gelten sollte«, antwortete der Anwalt.
»Und was haben wir davon?«
Grundler sah Böhnke erstaunt an. »Gerechtigkeit, würde ich sagen. Ich will nicht, dass der Falsche bestraft wird, nur damit die Polizei einen schnellen Fahndungserfolg und die Gesellschaft ein beruhigendes Gefühl hat.«
Hier sprach eindeutig ein Betroffener, wie Böhnke wusste. Grundler war als Student selbst einmal unfreiwillig in diese Situation geraten und hatte ein geeignetes Opfer abgegeben. Keiner hatte an Grundlers Unschuld geglaubt. Er war wegen Totschlags verurteilt worden und hatte nach der Haftentlassung den wahren Täter überführt. Er sprach nie über dieses Kapitel seines Lebens, aber es wirkte nach und bestimmte sein Handeln als Rechtsanwalt.
Sie waren in der Zufahrt zu Böhnkes Bleibe angekommen.
»Und jetzt raus, Commissario! Ab in den Regen!«
Mühsam kletterte Böhnke ins Freie und fluchte über die fetten Tropfen, die ihm auf den Kopf prasselten.
»Übrigens, bevor ich es vergesse.« Grundler hatte sich über den Beifahrersitz gebeugt und aus dem Handschuhfach zwei zusammengefaltete Blätter genommen. »Das ist was für deine Freizeit.«
»Witzbold.«
»Und dann wollte ich dir noch etwas sagen. Du hattest nicht einmal aufgelegt, da hat mich Landmann schon angerufen. Er schien nicht gerade amüsiert, als ich ihm sagte, dass du für mich arbeitest. Jetzt will er einen Termin bei mir, um sich Klarheit zu verschaffen.«
Nur einen flüchtigen Blick warf Böhnke auf die Blätter von Grundler, bevor er sie auf den Papierstapel neben dem Sofa warf. Er erkannte sofort, dass es sich dabei um eine Gebrauchsanweisung für einen Haartrockner handelte. Irgendein Produkt aus Fernost mit einer Beschreibung, die bei der Transkription ins Deutsche arg gelitten hatte. Derartige Übertragungen ›übersetzte‹ er gerne in verständliches Deutsch. Doch nahm er sich momentan nicht die Zeit, sich darum zu kümmern, obwohl schon der erste Satz geradezu danach schrie, ›übersetzt‹ zu werden: ›Erst kommt Gerätschaft an Steckerdose, dann Schalter on tippen‹.
Die Beschreibung musste warten. Er hatte Wichtigeres vor. Jetzt war das Wichtigste das Bett, denn er fühlte sich hundemüde.
10.
Die ersten Flocken mischten sich in das Nass
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