Printenprinz
vom Himmel, wie Böhnke am Morgen feststellte. Schnee schon so früh im Jahr, das gefiel ihm überhaupt nicht. Er war kein Schneemensch. Aber die Wetterverhältnisse würde ihn nicht davon abhalten, allmorgendlich seinen Spaziergang zu machen, der ihn dieses Mal entlang der Straße in Richtung Hammer führte. Wahrscheinlich würde er nicht bis in den kleinen Ort gehen, sondern irgendwann umkehren oder aber, wie er es sich inzwischen angewöhnt hatte, kurzerhand ein Taxi rufen, wenn er genug hatte.
Von seiner Gepflogenheit des fast täglichen Morgenspaziergangs ließ er sich nicht vom Wetter, aber noch weniger von einem Aktenordner abbringen, selbst wenn dieser vielleicht brisante Informationen über einen karnevalistisch angehauchten Steuerberater aus Roetgen enthielt. Immerhin lebte er im Ruhestand und musste nicht Fahndungserfolge aufweisen, um seinen Chefs und die Öffentlichkeit von seinen Fähigkeiten zu überzeugen. Alles zu seiner Zeit, so lautete sein Richtspruch.
Bei seiner Rückkehr stellte er fest, dass während seiner Abwesenheit jemand versucht hatte, ihn per Telefon zu erreichen. Der kleine Hörer auf dem Display blinkte unaufhörlich. Böhnke ließ ihn blinken. Er machte sich nicht die Mühe nachzuschauen. Wenn’s wichtig war, würde der andere noch einmal zum Telefon greifen, wenn’s besonders wichtig gewesen wäre, hätten ihn Lieselotte oder Grundler auf dem Handy angerufen.
Die erneute Kontaktaufnahme über das Festnetz ließ nicht lange auf sich warten. Mit Schmunzeln registrierte Böhnke die Vorwahl von Köln. Er hatte es sich gedacht.
Als Vorzimmerdame hätte er die Sekretärin bezeichnet, die nunmehr zeitgemäß im Raum vor dem Büro ihres Chefs wachte.
Herr Müller wünsche ihn zu sprechen, sagte sie förmlich in neutralem Tonfall und verband, ohne auf seine Reaktion zu warten.
»Müller.«
Der mit tiefer Stimme ausgesprochene Name täuschte über die Person hinweg, der diese Stimme gehörte. Nach dem Bass zu urteilen, hätte Müller ein voluminöser, stattlicher Mann vom Format eines Ivan Rebroff sein müssen. Diesem Irrtum war zunächst auch Böhnke erlegen, bevor er den Oberbürgermeister zu Gesicht bekommen hatte. Der knapp 40-jährige Jurist war sehr schlank und fast zwei Meter groß. Sein Markenzeichen war seine kunterbunte Fliege, die ein helles Hemd zierte.
»Böhnke«, entgegnete der Kommissar trocken.
Müller lachte auf. »Schön, Sie so beschwingt zu hören«, meinte er zur Begrüßung. »Ich habe das Vergnügen, Sie zu treffen. Mein Freund Tobias Grundler hat es mir quasi befohlen. Falls ich mich weigern würde, wolle er mir die Freundschaft kündigen. Und das will ich auf jeden Fall vermeiden. Womit kann ich Ihnen denn dienen?«
Das sei eine längere Angelegenheit, die mit einem Telefonat nicht erledigt wäre, antwortete Böhnke bedächtig.
Er bezweifelte, dass Müller nicht von Grundler ins Bild gesetzt worden war. Dieses Taktieren und Verschweigen gehörte zur Methode von Politikern, so viel hatte er schon gelernt.
Doch Müller erstaunte ihn. »Offenbar habe ich mich nicht deutlich genug ausgedrückt«, unterbrach ihn die Bassstimme. »Ich möchte Ihnen gerne in die Augen sehen. Wann haben Sie denn Zeit für mich?«
»Immer«, entfuhr es Böhnke. ›Aber ich komme nicht nach Köln‹, hätte er am liebsten hinterhergeschoben, aber er verkniff sich den Satz, denn das wusste Müller, seitdem sie sich das erste Mal begegnet waren.
»Das trifft sich gut.« Hörbar blätterte Müller in einem Kalender. »Wissen Sie was? Wir treffen uns in Ihrem wunderschönen Huppenbroich. Wie wäre es am nächsten Sonntag?« Er wartete Böhnkes Antwort nicht ab. »Grundler hat mir gesagt, Sie haben dort eine tolle Dorfgaststätte, in dem es einen supergutes Sonntagsbrunch gibt. Ich komme mit meiner Frau, die wollte auch einmal gerne Huppenbroich kennenlernen. Wenn’s recht ist, reserviere ich einen Tisch für sechs Personen.«
Böhnke musste sich bemühen, nicht laut loszuprusten. Grundler und Müller hatten den Termin längst ausgemacht, daran hatte er keinen Zweifel.
»Worüber wollen Sie denn mit mir plaudern?«
Wieder hatte Böhnke Bedenken. Müller wusste bestimmt genau, was er von ihm wollte. Es ging dem Politiker nur darum zu erfahren, wie weit sein Informationsbedürfnis ging. ›Plaudern‹ war wohl nicht der angemessene Ausdruck für das Gespräch über ernste Themen, dachte sich Böhnke.
»Hat Ihnen Grundler nicht gesagt, was ich wollte? Das wundert mich, zumal Sie
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