Printenprinz
auch so ein Ding, Chef«, antwortete Hamacher. »Hier in der Fabrik hat keiner was mitbekommen. Ist alles klammheimlich über die Bühne gegangen. Die Staatsanwaltschaft hatte die Leiche kaum freigegeben, da wurde sie schon im Auftrag der Witwe zum Krematorium nach Kerkrade gekarrt. Es hat noch nicht einmal eine Trauerfeier gegeben oder ein Gedenken im Betrieb. Wie durchgesickert ist, gab es eine Seebestattung, an der nicht einmal die Witwe und Landmann oder wer auch immer teilgenommen hat. Die hat ihn im wahrsten Sinne des Wortes aus der Welt geschafft, Chef. Ich finde das pietätlos. Na, ja, was soll ich von einer gerade erst verwitweten Frau halten, die wenige Tage nach dem Tod ihres Mannes mit einem anderen über Weihnachten in den Skiurlaub fährt. Das erzählen jedenfalls die Buschtrommeln aus der Verwaltungsetage.«
»Mit Landmann?«
»Mit wem denn sonst? Ich glaube, die machen gemeinsame Sache, Chef.« Damit war Hamachers Lust am Gespräch vorbei. Er verabschiedete sich schnell mit dem Hinweis, er müsse mit seiner Frau Weihnachtseinkäufe tätigen. Sie säße bereits im Wagen und hupe die Nachbarschaft zusammen.
Das Stichwort Weihnachtseinkäufe erinnerte Böhnke an seine immer wiederkehrende Fantasielosigkeit, wenn es darum ging, seine Liebste zum Fest mit einer Kleinigkeit zu überraschen. Zwar vereinbarten sie jedes Jahr aufs Neue, sich nichts mehr gegenseitig zu schenken, aber alle Jahre wieder hatte Lieselotte die Vereinbarung gebrochen und erwartete fast schon selbstverständlich, dass auch er sich nicht daran hielt. Und wenn es nur eine Kleinigkeit war, die er in Weihnachtspapier verpackt ihr unter den Baum legte.
Damit bekam sein Ausflug nach Roetgen einen zweiten Sinn. In einem der kleinen Geschenkläden dort würde er schon etwas für sie finden. Ihm fiel sogar spontan ein, was für ihn absolut unüblich war, was es in diesem Jahr sein würde: eine Schneekugel. Er gratulierte sich selbst zu dieser Idee, als er zu Lieselotte in den Wagen stieg. Das war das Ärgerliche an seiner Weigerung, sich ein eigenes Gefährt zuzulegen, gelegentlich musste Lieselotte, wie in dieser Woche, nach der Arbeit nach Huppenbroich kommen, »nur, damit der Herr Kommissar in seiner Bequemlichkeit nicht zu Fuß zu seinen Terminen muss«, wie sie herzhaft lästerte.
Er schwieg. Sie hatte im Prinzip recht. Aber als er in das Ferienhaus nach Huppenbroich gezogen war, waren beide davon ausgegangen, dass er das Auto nicht brauchte. An seine rege Ermittlungstätigkeit, die seit seinem Umzug in die Eifel über ihn hereingebrochen war, hatten sie damals keinen Gedanken verschwendet. Wer hätte damit schon rechnen können?
»Du arbeitest mehr als wie früher in Aachen«, übertrieb Lieselotte, aber insgeheim gönnte sie ihm die Abwechslung, die ihn seine Krankheit vergessen ließ.
Der Abschied vor der Apotheke war kurz. Er klemmte sich hinters Lenkrad und suchte einen Parkplatz in vertretbarer Entfernung zum Markt und zum Katschhof. Wenn es schon einen der größten Weihnachtsmärkte Deutschlands direkt vor seiner Haustür gab, da konnte er auch dort nach seiner Schneekugel suchen, dachte er sich. Aber er gab die Suche schon wieder auf, bevor sie richtig begann. Als er in der Budenstadt zwischen Dom und Rathaus erschien, blickte er nur auf geschlossene Verschläge. Für einen Weihnachtsmarktbummel war es zu dieser Zeit eindeutig zu früh. Doch ab Mittag oder gar zum Abend hin würden ihn keine zehn Pferde auf den Weihnachtsmarkt ziehen können. Sich im Schleichgang und im Schneckentempo in den Menschenmassen durch die Budengassen zu quälen, das brauchte er nicht. Das eine Mal, als Lieselotte unbedingt mit ihm nach Ladenschluss noch einen Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt trinken wollte, hatte ihm gereicht. Es hatte kein Durchkommen gegeben. Was die vielen Engländer, Franzosen und Holländer, die mit Reisebussen in Massen herangekarrt wurden, an diesem Volksauflauf begeisterte, war für ihn unerklärlich. Das wunderschöne Ambiente mit der historischen Fassade des Rathauses und der eindrucksvollen Silhouette des Doms gaben dem Weihnachtsmarkt sicherlich ein außergewöhnliches Flair. Aber die Menschenmassen, die schreckten ihn vom Besuch ab.
Er nutzte die Zeit zu einem Bummel durch die Buchhandlungen auf der Suche nach Lesestoff für einsame Stunden und wurde sogar fündig in Form eines Titels, der sein Hobby zum Inhalt hatte: die Übersetzungen ausländischer Beipackzettel und Gebrauchsanweisungen ins Deutsche und die
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