daraus entstehenden ungelenken Erklärungsversuche. Er machte es sich in der Leseecke bequem und blätterte darin, um nach einer Stunde festzustellen, dass er es jetzt eigentlich nicht mehr zu kaufen brauchte. Aber er fühlte sich dazu gewissermaßen verpflichtet, nachdem er an einer Seite die Ecke umgeknickt hatte und das Buch damit nicht mehr als neuwertig gelten dürfte.
Eine Mittagspause mit Lieselotte fiel aus, weil sie von einer Vertreterin zu einem Arbeitsessen eingeladen worden war, Grundler hatte keine Zeit für ihn, Hamacher meldete sich nicht.
Warum nicht? Würde er halt zu von Sybar fahren, beschloss er, nachdem er sich in einer Bäckerei ein Streuselbrötchen gekauft hatte. Es war eine der wenigen Errungenschaften aus Aachen, die er lieb gewonnen hatte, ein Brötchen wie ein Streuselkuchen, ohne jeden weiteren Schnickschnack, weder Pudding noch Sahne oder gar Marmelade. Streuselbrötchen so wie diese hatte er nur in Aachen und im Aachener Umland gefunden. Ein Original wie die Aachener Printen.
Vorsorglich stellte er den Wagen vor dem Firmengelände auf einem Parkstreifen an der Straße ab und schlenderte zu dem Gebäude. Der ihm fremde Wachmann in der Pförtnerloge beäugte ihn kritisch und fragte ihn, was er wolle. Er ließ ihn erst eintreten, als Böhnke andeutete, er habe einen Gesprächstermin. Zugleich verlangte das Telefon die ganze Aufmerksamkeit des Wachmanns. Im Flur nahm niemand von Böhnke Kenntnis. Ehe er sich versah, war er im Büro von Heinrich von Sybar verschwunden.
Das Appartement war, wie er nicht anders erwartet hatte, unverändert. Der Schlafsessel verleitete geradezu, sich zu einem Nickerchen niederzulassen. Aber er widerstand der Versuchung und machte es sich in der Sitzecke bequem. Langsam schaute er sich um. Gab es etwas, das ihn interessieren könnte? Ergab es Sinn, weiter in den Tagebuchaufzeichnungen des Printenkönigs zu blättern?
Er erhob sich und strebte der Schrankwand zu. Beim Überfliegen der Buchrücken fiel ihm ein Buch auf, das verkehrt herum in der Reihe stand, die Buchstaben standen auf dem Kopf. Es störte die Harmonie, empfand Böhnke, als er es herauszog, um es wieder richtig einzuordnen. Der Zettel, der aus dem Buch auf dem Boden fiel, ließ ihn innehalten. Er bückte sich und staunte nicht schlecht, als er in von Sybars Handschrift einen Text vorfand, der an ihn gerichtet war.
›Lieber Herr Böhnke, wenn ich Sie richtig einschätze, werden Sie sich in Ihrer gewissenhaften Art an der Unordnung in der Bücherreihe stören, gerade deshalb habe ich sie gemacht, und wenn Sie diesen Brief lesen, weiß ich, dass Sie tatsächlich meiner Bitte folgen. Viel habe ich Ihnen nicht mitzuteilen, nur eines: Falls es wirklich unabdingbar ist, können Sie mich per E-Mail erreichen unter der Adresse ›
[email protected]‹. Aber ich möchte Sie bitten, mich und meine Partnerin wirklich nur dann anzumailen, wenn es unbedingt sein muss. Räumlich festmachen lässt es sich nicht, wo ich gerade im Moment bin, wenn Sie diesen Text lesen. Grob gesagt, sind wir zuerst in Südamerika unterwegs, von dort geht es nach Nordamerika und über Sibirien nach Ostasien. Anschließend stehen Neuseeland und Australien auf unserer Route, danach haben wir wieder Asien auf der Agenda. Über Russland wollen wir nach Skandinavien, wo ich unbedingt einmal am Nordkap stehen möchte. Das dürfte wohl im Sommer sein, wenn alles wie geplant abläuft und ich dann noch lebe. Da ich Ihnen vertraue, weiß ich, dass Sie diesen Brief für sich behalten und die Adresse niemandem weitergeben werden. In der Hoffnung, nichts von Ihnen zu hören, verbleibe ich mit freundlichen Grüßen Heinrich von Sybar.‹
Datiert war der Brief auf den Tag, an dem von Sybar ihn in Huppenbroich besucht hatte. Nachdenklich notierte Böhnke sich die ausgefallene E-Mail-Adresse, dann legte er den Zettel zurück in das Buch, das er richtig in der Schrankwand einordnete. Er würde es wiederfinden in der untersten Reihe an sechster Stelle von links.
Er zögerte. Sollte er von Sybar über den Tod des Schwiegersohns informieren? Was würde das ändern? Der Betrieb lief seinen gewohnten Gang. Von Sybars Tochter machte, was sie wollte, ob ihr Vater anwesend war oder nicht. Eine Trauerfeier hatte es nicht gegeben und würde es nicht geben. Warum sollte er also den Seelenfrieden des Alten stören? Lass ihn das Leben genießen, riet er sich und fand, er habe damit die richtige Entscheidung getroffen.
Eine andere Möglichkeit kam ihn in