Printenprinz
Lieselotte und Böhnke von der Ausgelassenheit im proppenvollen Saal einnehmen. Ehe er sich versah, schunkelte Böhnke bei den Karnevalsklängen mit, die von einer zweiköpfigen Kapelle im Hintergrund gespielt wurden, auch wenn er die Liedtexte nicht verstand oder kannte, die in seiner Umgebung hingebungsvoll gesungen wurden. Spielte das Huppenbroicher Narrenvolk mit den Karnevalisten auf der Bühne, oder war es umgekehrt?, fragte sich Böhnke. Aber es machte ihm Spaß, und nur das zählte, obwohl er viele der Künstler von der Veranstaltung im Eurogress bereits kannte. Die zwei aus dem Wurmtal, das ›reduzierte‹ Trio, brachten wieder die derben Schoten vom Lande, die sich genauso in Huppenbroich wie in Langbroich-Schierwaldenrath ereignen könnten.
Die aktuelle Bundespolitik, die das Gesangsduo ›Et Zweijestirn‹ persiflierte, war wohltuend und scharfsinnig und begeisterte Böhnke, zumal das Duo sein Programm im Vergleich zum Eurogress zeitnah verändert hatte und ebenso ohne Zoten oder billige Witze unterhalb der Gürtellinie auskam wie ihre beiden Kollegen aus dem Wurmtal. Nach dem viel umjubelten Auftritt vom Tulpen-Heini aus dem deutschsprachigen Ostbelgien, der von seinem zweiten Wohnzimmer bei Ohler sprach, ließen die ›Jungen vom Lousberg‹ mit ihrer Musik das Publikum jubilieren, schunkeln, singen und tanzen. Das war fast schon körperliche Schwerarbeit, die Böhnke verrichten musste.
Die angekündigte Pause kam ihm sehr gelegen. Erst jetzt spürte er, wie heiß und wie laut es im Saal gewesen war. Er genoss den geringeren Lärmpegel und die Kühle in der Ecke, in die er sich zurückgezogen hatte. Aber lange blieb er dort nicht allein. Ein stämmiger Mann mit einem mächtigen Schnauzbart baute direkt neben ihm einem Klapptisch auf und stapelte darauf CDs, T-Shirts, rote Halstücher und Autogrammkarten. Wenige Augenblicke später konnte er sich kaum vor begeisterten Frauen erwehren, die ihm die Utensilien nahezu aus der Hand rissen.
»Die Kasse klingelt ja ganz schön«, bemerkte Böhnke, nachdem er eine Weile den Ansturm beobachtet hatte.
»Ist normal«, antwortete der Mann trocken. »Ist bei allen unseren Auftritten so.«
Neugierig schaute sich Böhnke die Gegenstände auf dem Verkaufstisch an. Sie stammten allesamt von der Gruppe ›Hätzblatt‹. »Treten Sie hier auf?«, fragte er überflüssigerweise.
»Ich bin nur der Fahrer und Roadmanager und sorge für den Verkauf. Die Jungs sind vorne in der Kneipe und bereiten sich vor. Ist gut, dass wir hier eine kleine Verschnaufpause haben. Wie haben schon fünf Auftritte hinter uns.«
»Und danach geht es nach Hause?«
Der Mann schaute ihn ungläubig an. »Nein. Wir müssen heute noch nach Merkstein, Heerlen und zum Abschluss nach Welkenraedt. Da geht in der Nacht noch richtig die Post ab.«
›Hätzblatt‹? Da war doch was? Böhnke dachte nach, bis es ihm einfiel. »Sollten Sie nicht mit Prinz Pitter III. in Köln auftreten?«
Der Bartträger nickte grimmig. »Sollten wir. Aber dann wurde alles gecancelt. Wir haben glücklicherweise viele Auftritte übernehmen können, die eigentlich eine Gruppe aus Köln hier in der Region haben sollte. Die spielen jetzt an unserer Stelle in Köln.« Er zuckte mit den Schultern und kassierte das Geld für eine CD ein. »Ist schade, aber nicht zu ändern. Dabei wäre es wichtig gewesen, einmal in Köln Fuß zu fassen. Wir gelten als eine der musikalisch besten Gruppen im Karneval«, behauptete der Mann, »aber es ist verdammt schwierig, als Truppe aus der ländlichen Provinz hinter Aachen in Köln auftreten zu können.« Da würde wahrscheinlich gekungelt bis zum Abwinken.
Böhnke fand es interessant, auch diese Version der ihm bekannten Geschichte zu hören.
»Keine Karnevalsband hat mehr Fernsehauszeichnungen als wir«, behauptete der Mann stolz. »Wir haben zweimal die ›Närrische Hitparade‹ im WDR gewonnen und waren einmal zweiter Sieger. Beim Belgischen Rundfunk haben wir sogar schon einmal die karnevalistische Hitparade angeführt vor allen anderen bekannten Gruppen.«
Böhnke beobachtete interessiert den Trubel am Verkaufstisch. Es schien, als hätte die Hälfte der weiblichen Bevölkerung von Huppenbroich nur darauf gewartet, endlich einmal ein rotes Halstuch mit dem Namen und dem herzförmigen Symbol von ›Hätzblatt‹ zu erwerben. Doch langsam ebbte der Andrang ab, die Besucher strömten wieder in den Saal.
»Endlich Zeit, um einmal durchzuschnaufen«, meinte der Mann. »In einer halben
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