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Prinz-Albrecht-Straße

Prinz-Albrecht-Straße

Titel: Prinz-Albrecht-Straße Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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weg.«
    »Ja«, versetzte Margot ironisch, »bis nach Hennigsdorf, und dann alle wieder treffen, denen man in Berlin aus dem Weg geht.«
    »Nein«, erwiderte Stahmer, »nach Süden, ans Meer, nach Italien, verstehst du? Rotwein und Spaghetti.«
    »Mit ›Kraft durch Freude‹ und Skatpartie.«
    »Pack deinen Koffer«, erwiderte er. »Wir beide fahren ganz allein. Hast du einen Paß?«
    »Du bist verrückt«, erwiderte sie, »und die Devisen?«
    »Wir brechen bei einer italienischen Bank ein«, sagte er lächelnd.

49
    Elf Stunden später saßen sie nebeneinander im Zug, in gehobener Stimmung; der Schnellzug rüttelte und stampfte, vor ihren Augen zog die Landschaft vorbei wie ein Fließband. Sie achteten nicht darauf. Sie sahen nur sich. Sie wollten nicht verreisen, sondern flüchten.
    Ein Reisender stieg aus. Werner Stahmer und Margot waren allein. Er setzte sich neben sie. Er zog das Mädchen leicht an sich. Dann sah er eine Berliner Mittagszeitung auf dem Polster liegen, las die Schlagzeile auf der Frontseite: Rätselhafter Mord im Grunewald. Die Stimmung desertierte. Er erhob sich langsam. Margot betrachtete ihn verwundert. Er griff mit spitzen Fingern nach der Zeitung und warf sie aus dem Fenster. Er wollte und mußte alles vergessen: den Graveur Puch, den untersetzten Russen, den toten Formis, das alles mußte irgendwo zurückbleiben auf der Strecke. Jetzt ging es nur um Margot und um ihn, um sie beide, um ihre Zukunft.
    In München benutzten sie den nächsten Anschluß. Am Brenner erlebten sie den üblichen Zaubertrick: die Wetterwende. Als sie die Grenze hinter sich hatten, schien alles lichter und klarer zu werden. Die Pforte zum Paradies war mit Palmen und Zitronenbäumen geschmückt. Spät in der Nacht waren sie am Ziel, einem kleinen Nest an der italienischen Riviera. Sie hatten sich müde gesehen, schliefen sofort ein und standen viel zu früh auf.
    Der Himmel war unwirklich blau. Stahmer und Margot lagen nebeneinander in der Sonne im Sand, genossen das Alleinsein.
    »Höchstens vierzehn Tage«, sagte Margot.
    »Fast eine Ewigkeit«, erwiderte Stahmer. »Vierzehn Tage, das sind …«, er addierte rasch, »dreihundertsechsunddreißig Stunden Strand, Sonne, Meer und …«
    »… und?« fragte Margot.
    Er blickte starr geradeaus. Er empfand sich als Gefangener der Gefühle, die er gestern noch geleugnet hatte. Der Mann, der Frauen gegenüber die Antwort stets bereit hatte, erlernte das Schweigen. Er war unsicher geworden und wußte nicht, wie gut es ihm stand. Seine Empfindungen gingen dazu über, seine Selbstherrlichkeit zu besiegen.
    Stahmer ließ sich von der Sonne streicheln und kam ins Grübeln. Plötzlich wußte er, wie kurz dreihundertsechsunddreißig Stunden waren. Er wollte keiner Fata Morgana erliegen, keinem Traum, an dessen Ende er wieder mit strammem Katzenbuckel vor dem Gruppenführer stand.
    »An was denkst du?« fragte Margot.
    »An nichts«, erwiderte er.
    Sie lächelte fein. Sie wußte, daß er begann, mit seinem ›Beruf‹ zu hadern. So wollte sie es. Sie mochte ihn. Sie mochte ihn viel zu gut. Aber sie wollte ihn nicht so haben. Sie spürte, daß es in ihm gärte, und freute sich darüber.
    Margot schüttelte den Sand ab und ging ins Wasser. Stahmer folgte ihr. Sie lieferten sich wie übermütige Kinder eine Wasserschlacht, schwammen dann weit hinaus, nebeneinander. Das Salz brannte auf der Haut, aber noch stärker spürten sie etwas anderes, beide, gleichzeitig. Für Liebende war alles ein ganz gewöhnlicher Alltag, für Stahmer aber Neuland, das er mit spröden Schritten betrat.
    Am Abend landeten sie in einem kleinen Ristorante. Bei Spaghetti und Chianti vergaßen sie, daß auch dieses farbenfrohe Land unter dem Gluthauch des Faschismus stand. Langsam füllte sich die kleine Kneipe. Ein Italiener hatte eine Laute mitgebracht. Der Belcanto verzauberte den Raum. Einer der Sänger stieß versehentlich gegen die Wand. Das Duce-Bild fiel herunter. Das Lied ging im Gelächter unter. Der Lautenspieler kam auf Stahmer zu.
    »Wir«, sagte er in gebrochenem Deutsch, »wir nix Faschist, nix Mussolini, nix Hitler.«
    Stahmer schenkte ihm lächelnd ein. Auch die anderen kamen näher, zutraulich wie junge Hunde. Zuletzt tranken sie zu zehnt den ›Barbera‹.
    Gegen Mitternacht schob sie der Wirt ebenso höflich wie bestimmt zur Tür hinaus. Vom Meer her wehte eine frische Brise, es glänzte wie verzaubert. Der Mond erschien wie aus purem Silber. Alles steckte im Rahmen der Unwirklichkeit und

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