Prinz-Albrecht-Straße
war doch greifbar nahe. Wie Margot, die Stahmer an sich zog. Sie wagten kaum sich zu bewegen, als wollten sie die traumhafte Szenerie nicht zerstören. Sie sagten kein Wort und verstanden sich doch. Margot spürte, daß ihr der verzauberte Abend in der Manier eines Grandseigneurs den Kuppelpelz um die Schultern werfen wollte, und lächelte.
Sie gingen langsam weiter zu der kleinen Pension am Fuße des Castells. Ihre Zimmer lagen nebeneinander. Als sie angekommen waren, hatte sie die Wirtin mit einem wissenden, zufriedenen Blick gestreift. Sie hatte Liebespaare gern. Vielleicht, weil das alles bei ihr schon lange zurücklag.
Sie wünschten sich gute Nacht und gingen auseinander. Stahmer konnte nicht einschlafen. Er rauchte an einer unfrohen Zigarette, trat ans Fenster und starrte aufs Meer. Er hörte, wie sich Margot nebenan unruhig herumwarf. Auf einmal fragte er sich nicht, was er tun und was er lassen sollte. Er ging auf ihre Türe zu und klopfte. »Margot«, sagte er leise.
Sie lag reglos da, als er auf sie zukam. Er zog sie an sich, als wollte er sie nie wieder loslassen. Und dann blieb die Zeit stehen. Sie hielten sich an den Händen. Ihre Augen tauchten ineinander. Die Lider wurden nicht schwer und die Zärtlichkeit nicht müde. Sie schwang im Zimmer, verwandelte, verzauberte es. Werner Stahmer und Margot lagen geborgen in den weichen Armen der Nacht und sehnten sich nach ihrem Frieden. Die Luft duftete nach Meer, nach Erde, nach Frühling. Die Poren saugten sich mit Frieden voll. Vor den Fenstern zirpten die Grillen und zwitscherten die Nachtvögel ein Lied, das so alt war wie die Menschen, so glücklich und so verloren. Die Worte, die sie sich sagten, waren echt und banal, uralt und ewig neu. Sie hatten keine Sorgen, keine Ängste.
Margot machte sich frei, stützte sich auf die Ellenbogen, ihr Haar fiel in die Stirn. »Glücklich?« fragte sie.
»Ja. Und du?« erwiderte der Mann.
»Auch.«
»Nur auch?«
Margot legte sich wieder zurück in die Kissen, lächelte mit geschlossenen Augen. »Nein«, sagte sie dann ganz ruhig, »viel, viel mehr.«
»Wieviel?«
»Unsere Sprache ist arm, nicht?« entgegnete sie lächelnd.
»Das nicht«, entgegnete er, »nur abgenutzt …«
Stunden später saßen sie sich auf der Sonnenterrasse gegenüber. Die Wirtin kam zutraulich näher; um ihren Mund spielte ein wissendes Lächeln. Sie hatte Blumen abgeschnitten und stellte sie auf den Tisch. »Signor Stahmer, oggi cosa mangiare?« Sie machte mit der rechten Hand die Geste des Löffelns.
Er lächelte. »Irgend etwas«, erwiderte er dann.
Gegen Mittag kam das Telegramm.
Werner Stahmer wurde auf schnellstem Weg nach Berlin zurückgerufen.
50
Hitler war unterrichtet: er selbst hatte Stahmers Einbruch in das Heeres-Archiv befohlen. Jetzt sah es aus, als ob die Sowjets angebissen hätten. Ihr Gegenagent war unverzüglich nach Moskau abgereist und hatte sich dort mit der GPU in Verbindung gesetzt. Jeder seiner Schritte wurde überwacht. Es gab eine kurze Verzögerung. Die Probe-Folie war direkt an den roten Diktator Stalin herangetragen worden.
Seit dem Vertrag von Rapallo hatte die deutsche Reichswehr eng mit der Roten Armee zusammengearbeitet. Die Sowjets duldeten auf ihrem Gebiet die Ausbildung deutscher Offiziere an Waffen, die der Vertrag von Versailles verboten hatte. Über diesen praktischen Zweck hinaus entstanden wie von selbst menschliche Kontakte. Zunächst durchaus noch ohne politische Hintergründe. Kein höherer Offizier der Reichswehr hatte mit dem Kommunismus sympathisiert. Aber der ›Geist von Tauroggen‹ spukte durch die höheren Stäbe. Ein Teil der Reichswehr wollte mit den Russen gegen den Westen arbeiten; der andere den umgekehrten Weg gehen. Alle diese Vorgänge lagen vor dem Jahre 1933 und waren sozusagen aktenkundig.
Heydrich hatte aus Kreisen weißrussischer Emigranten über Paris einen Hinweis erhalten, daß zwischen dem mächtigen Marschall Tuchatschewski, genannt der ›rote Napoleon‹, und dem Generalissimus Stalin offensichtlich Differenzen bestanden. Die Quelle war obskur, aber man wagte den Versuch, diese Spannung auszunutzen. Es boten sich zwei Möglichkeiten an: zusammen mit dem Sowjet-Marschall am Sturz Stalins zu arbeiten oder Tuchatschewski an Stalin auszuliefern.
Es gab erregte Debatten hinter geschlossenen Türen. Die Meinung setzte sich durch, daß eine ›Säuberung der Roten Armee‹ zu einer Schwächung der russischen Militärkraft führen müßte.
Der Einbruch wurde
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