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Prinz-Albrecht-Straße

Prinz-Albrecht-Straße

Titel: Prinz-Albrecht-Straße Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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Fünfundzwanzig Hiebe auf dem Bock. Oder Todesstrafe durch Erhängen. Und die anderen sahen und warteten, bis sie daran sind …
    »Die schlagen heute gar nicht«, sagte Rosenstein.
    »Oberfaul«, murmelte Mersmann.
    Im anderen Karree schrie einer »Achtung!« Der Ruf wuchs wie Unkraut. Die gebeugten Häftlinge rissen die Knochen zusammen. Sie handelten wie im Schlaf. Wer nachklapperte, wurde angeschnallt …
    Besichtigung. Eine Gruppe von SS-Offizieren. Die Häftlinge sahen bang ihren Peinigern entgegen. In der Mitte der Gruppe ging ein untersetzter Mann. Er besah die Häftlinge neugierig, nicht unzufrieden. Mersmann betrachtete die Rangabzeichen. Gruppenführer, dachte er, in jedem Fall besser, sich rechtzeitig zu ducken …
    Gestapo-Chef Müller nahm lässig die Meldungen der Blockführer entgegen. Es war heiß, seine Stirn glänzte. Trotz der Hitze nahm er die Strapaze gern auf sich. Diese Sache war zu wichtig, um sie einem anderen zu überlassen.
    »Männer«, schrie er über den Appellplatz.
    Die Häftlinge zuckten zusammen. Männer? So wurden sie nie angeredet. Hier hieß es Hunde, Schweine, Scheißkerle …
    »Ich suche Freiwillige«, tönte der Gestapo-Chef weiter.
    Das ist es, dachten die Häftlinge. Freiwillige? Dieses Spielchen kannten sie! Wer diesen Ruf hörte, verpißte sich am besten, so schnell er konnte. Freiwillig … das hieß Sonderkommando.
    »Hundert Mann«, rief Müller weiter. »Los, Hand hoch!«
    Die Arme hingen wie gelähmt.
    »Na, nicht alle auf einmal.« Müller lachte launig.
    »Soll ich euch Beine machen«, tobte der Rapport-Führer hinter ihm. Der Gruppenführer drehte sich irritiert nach ihm um. Die Theorie erfand er, die Praxis verwirrte ihn noch.
    »Freiwillige müssen Sie mit der Peitsche aussuchen, Gruppenführer«, erläuterte der Lagerkommandant.
    »Na schön«, brummte Müller.
    Der Gestapo-Chef ging mit seinen Begleitern an der Front entlang. Die Häftlinge hatten ihm mit Blickwendung zu folgen. In ihren Augen loderte Angst und glomm noch Leben.
    »Viel Ehre legen Sie mit Ihren Burschen nicht ein«, sagte der Gestapo-Chef zum Lagerkommandanten. »Die sehen ja ziemlich beschissen aus.«
    Müller dachte daran, daß er in einem oberschlesischen Dorf demnächst hundert wohlgenährte Leichen zu liefern hatte …
    »Ist ja kein Sanatorium, Gruppenführer.«
    Müller wandte sich an die Häftlinge. »Ihr seid schön doof«, sagte er jovial, »wer sich meldet, kriegt so viel zu fressen, wie er will.«
    Ein paar dünne Arme fuhren zittrig hoch. Wie Grashalme, über die der Wind weht.
    »Na also«, grinste der Gruppenführer.
    Augen weiteten sich. Herzen krampften sich zusammen. Wild und sinnlos flammte plötzlich Hoffnung.
    »Immer noch besser als hier«, sagte Mersmann zwischen den Zähnen.
    »Spiel nicht verrückt«, zischte ihm Rosenstein zu.
    Jetzt kam der Gruppenführer näher. Er hatte seine hundert ›Freiwilligen‹, aber er war wählerisch. Nach welchem Schema er sie aussuchte, konnten die Häftlinge nicht erkennen. Am liebsten waren dem Gestapo-Müller für diesen Einsatz Männer mit germanisch wirkenden Gesichtern. »Aber wenn der Vorrat nicht reicht«, brummte er, »kassier' ich auch andere.«
    Auf einmal hob Mersmann die Hand.
    Rosenstein wollte ihn zurückreißen.
    Müller sah es und mißdeutete die Geste. »Geh ruhig mit deinem Kumpel«, grinste er.
    Zwei Unterführer rissen die Freunde aus der Front. Ein Tritt in die Rippen, dann taumelten Mersmann und Rosenstein auf die Gruppe der ›Freiwilligen‹ zu.
    Hundert Menschen standen da, hofften und bangten. Ihr Hunger war größer als ihre Angst. Und ihr Schicksal konnte nicht gemeiner sein als der Tod. Höchstens schneller …
    Die Häftlinge traten weg.
    Müller ging mit dem Lagerführer zum Imbiß in das Kasino. Der Sekt war schon gekühlt.
    Der Gruppenführer hob das Glas. »Ich bin sehr zufrieden mit Ihnen, mein Lieber«, schnarrte der arrivierte Polizeiinspektor. »Diese hundert Leute füttern Sie heraus, so schnell es geht.«
    »Warum?« fragte der Kommandant stupide. Sein Gesicht wirkte nicht intelligenter als sieben Jahre später unter dem Galgen, wo ihm der Strick nachträglich wie nachdrücklich das fünfte Gebot beibrachte …
    »Schon mal was von Hänsel und Gretel gehört?« fragte Müller blinzelnd.
    »Versteh' ich nicht.«
    »Ganz einfach – Sie sind die Hexe«, erwiderte der Gestapo-Chef mit meckerndem Lachen. Dann wurde er wieder sachlich.
    »Die hundert Häftlinge stehen auf Abruf«, erwiderte

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