Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Prinz-Albrecht-Straße

Prinz-Albrecht-Straße

Titel: Prinz-Albrecht-Straße Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
Vom Netzwerk:
Mädchen? Er stieß auf den Namen Sybille Knapp, einundzwanzig Jahre alt. Stahmer merkte sich den Namen. Bevor er noch seine Komplizen aufsuchte, kümmerte er sich um das Mädchen. Er erfuhr, daß es jeden Mittwoch mit einem Freund zum Tanzen ging. Lokal in der Innenstadt. Stahmer nickte. Heute war Mittwoch.
    Er erkannte das Mädchen sofort. Auch dieses Foto lieferte Heydrich. Er taxierte: es kann nicht so schwer sein, nur mit dem Freund gibt's Scherereien. Er setzte sich an die Bar und trank. Nur mit Schnaps ist das noch zu schaffen, dachte er. ›Hochzeitsreise‹ nach Gleiwitz. Vielleicht ohne Wiederkehr. Und dann ging's los. Der Krieg. Dann flogen die Tarnnetze von den Panzern, dann heulten die Stukas, während die Lautsprecher die polnische Kriegsschuld in alle Welt hinausplärrten. Und wenn ich die Bombe nicht zünde, tut's ein anderer, und ich spring' von vornherein über die Klinge. Der Satan versteht keinen Spaß! Und danach komm' ich vielleicht zum Sonderkommando an die Front. Stahmer erschrak nicht mehr, er lebte mit dem Gedanken auf du, daß ihn das RSHA eines Tages als Mitwisser beseitigen würde.
    Sybille Knapp saß einen Moment allein am Tisch. Sie trug eine hübsche Bluse zu einem einfachen Rock. Die Dreimannkapelle versuchte es mit einem Foxtrott.
    Der Agent stand auf und ging auf das Mädchen zu. »Darf ich?« fragte er.
    Das Mädchen sah einen Moment erschrocken zu ihm auf, blickte zur Tür hin, wollte nein sagen und stand dabei auf. »Sie tanzen aber gut«, sagte sie nach dem zweiten Stück.
    »Es geht«, erwiderte Stahmer.
    »Sie sind nicht von hier?«
    »Nein, ich komme aus Berlin.«
    Stahmer ließ seinen Charme spielen. Frauen rissen sich um ihn. Wenn schon Damen der Berliner Gesellschaft hinter ihm her waren, sollte ihm es mißlingen, ein Mädchen aus Gleiwitz zu erobern? Er hatte keine Lust, aber eine Pflicht. Im Namen des Satans. Er zog seine Tänzerin etwas fester an sich.
    Die Musik legte eine Pause ein.
    »Darf ich Sie zu einem Glas Sekt an die Bar einladen?« fragte er.
    »Ja, aber nur ein Glas«, erwiderte sie zögernd. Sie wußte noch nicht, wie gefährlich es war, sich mit diesem Mann einzulassen, daß vor ihm der Tod und hinter ihm der Teufel stand und daß sie, Sybille Knapp, ein kleines Mädchen aus Gleiwitz, ein paar fürchterliche, endlose Minuten lang in das Räderwerk der Weltpolitik geraten war …
    Das Gespräch der beiden jungen Männer an der Theke, rechts von Werner Stahmer, war symptomatisch für jeden Ort, an dem zwei Menschen in Deutschland sich trafen. Kopf oder Zahl: ein ganzes Volk warf die Münze und rätselte, ob der Frieden jetzt standhält.
    Das Mädchen wandte sich zu Stahmer. »Was meinen Sie … bleibt der Friede?«
    Der Agent des Satans zuckte die Schultern. Er wußte, daß die Handgranaten in seinem Gepäck die erste Detonation des Zweiten Weltkrieges sein würden. Daß die erste Schlacht auf dem Boden des Reichssenders Gleiwitz geschlagen würde. Daß er hier den ersten Mord inszenieren mußte …
    »Prost!« sagte er und hob das Glas. Der Sekt schmeckte schal.
    Das Mädchen lächelte und drehte sich unruhig um. Ihr Begleiter war noch nicht zurückgekommen.
    »Was machen Sie in Gleiwitz?« fragte sie.
    »Ferien«, erwiderte Stahmer.
    »Allein?«
    »Sicher.«
    Werner Stahmer dachte an seine sechs Komplizen und wollte ausspucken. Er zwang sich, das Mädchen anzulächeln, sein Repertoire herunterzuspielen: tiefer Blick in die Augen; scheinbar zufällige Berührung der Hände; Animierung zum Trinken; der erste Kuß beim ersten Du; Arme um die Schultern, und dann heimwärts, marsch …
    »Und was treiben Sie in Berlin?« fragte das Mädchen in der schlichten Bluse und dem kurzen Rock.
    »Ich bin vom Film«, erwiderte Stahmer leichthin.
    »Oh …«
    »Ja … Herstellungsleiter … Wissen Sie, was das ist?«
    »Nein«, versetzte Sybille.
    »Das ist einer, den keiner kennt, obwohl er den ganzen Film macht … Trinken wir lieber … Und was tun Sie?«
    »Ich bin Tontechnikerin beim Rundfunk.«
    Werner Stahmer setzte mit gespielter Überraschung das Glas ab. »Ach«, sagte er, »dann sind wir ja fast Kollegen.«
    »Sie sind sehr galant.«
    »Und Sie sehr bescheiden«, antwortete der Agent.
    Im Wandspiegel beobachtete er, wie der Freund des Mädchens zurückkam und verdrossen die Bar anstarrte.
    »Ich muß an meinen Tisch zurück«, sagte das Mädchen.
    »Bleiben Sie«, entgegnete Stahmer, »ich hole Ihren Freund her.« Er ging mit sicheren Schritten auf ihn

Weitere Kostenlose Bücher