Prinz-Albrecht-Straße
zu. »Kommen Sie«, sagte er ruhig, »wir trinken einen …«
»Wie kommen Sie dazu …?«
»Stahmer, mein Name … erkläre ich Ihnen bei einem Glas Sekt.«
Widerwillig näherte sich der junge Mann der Theke. Der Agent schob ihm einen Hocker zu, gab dem Barmann ein Zeichen. Die Musik setzte wieder ein.
»Tanzen Sie ruhig«, ermunterte Stahmer. Er lächelte fast unmerklich. Ich muß dem Mädchen Gelegenheit geben, überlegte er, dem Freund zu erzählen, was ich für ein großer Mann bin. Dann werden sie beide zurückkommen. Und dann fließt der Sekt, den Heydrich bezahlt. Zum Kotzen, dachte er, während er dem Mädchen schöne Augen machte. Ich dränge mich zwischen zwei Menschen. Ich bringe das Mädchen in Schwierigkeiten. Ich tanze nach den Pfiffen der Prinz-Albrecht-Straße. Und diese Pfiffe sind Schüsse. Sie sitzen im Herzen … Maßarbeit des Teufels.
Die Fenster des Etablissements waren offen, aber die Luft war stickig. Der heiße Atem des August brodelte über Deutschland. Tagsüber glitzerten im trockenen Sonnenglast zittrig die Wehrmachtskolonnen auf dem Marsch nach Osten. Während Hermann Göring verkündete: »Nie wird es einem Feindflugzeug gelingen, die Grenzen des deutschen Reichsgebietes zu überfliegen«, übte der Luftschutz Verdunkelung.
Hitler faselte vom Frieden. Sein Schneider nahm Maß für eine feldgraue Uniform, die nicht für die Front, sondern für den Reichstag bestimmt war. Die Bauern mähten ihr Getreide. Bald würde die Sense des Krieges die Bluternte einbringen. Diese Augusttage des Jahres 1939 zwischen Krieg und Frieden wirkten wie eine Lähmung.
»Sekt«, rief Werner Stahmer. Die Hölle macht durstig.
»Sie haben's wohl nötig, den Angeber zu spielen?« fragte der junge Mann verbissen.
»Jeder, wie er kann«, versetzte Stahmer lachend, klopfte ihm auf die Schulter. »Kannst du es nicht verstehen, daß man sich hier als Fremder langweilt?«
»Warum kommen Sie dann hierher?«
»Zur Erholung«, antwortete der Agent. »Wie heißt du denn?«
»Horst«, erwiderte der junge Mann etwas mürrisch.
»Na also«, brummelte Stahmer. Er streckte ihm die Hand hin. Waffenstillstand durch Alkohol. Einen Rausch lang. Im Hintergrund erschien eine Wehrmachtsstreife. Der Wirt watschelte beflissen auf sie zu. Die Kapelle machte in Marsch-Fox.
»Darf ich mal?« fragte Werner Stahmer.
Horst nickte.
Der Agent bot Sybille galant den Arm. Dann schob er sie vor sich her. Links, zwei, drei, vier. Die Zeit degradierte selbst noch das Parkett zum Exerzierplatz.
»Sind Sie verlobt mit ihm?« fragte Stahmer.
»Nicht ganz …«, erwiderte das Mädchen.
Stahmer lächelte. »Das klingt nicht sehr überzeugend«, stichelte er.
»Ich kenne ihn erst kurz …«
»Müssen Sie einen Mann lange kennen?« fragte der Agent.
»Wie man's nimmt«, wich Sybille aus.
»Und wie nehmen Sie es heute?«
»Wie es kommt …«, antwortete sie flüsternd.
Der Sekt machte sie keck. Stahmer blies ihr eine Strähne aus der Stirn.
»Was war Ihr letzter Film?« fragte das Mädchen.
»Die Reise nach Tilsit«, erwiderte der Agent ohne Zögern. »Haben Sie ihn gesehen?«
»Ja«, antwortete Sybille bewundernd.
»Darf ich Sie einmal anrufen?«
»Warum nicht?«
»Ich warne Sie«, setzte Stahmer hinzu, »ich bringe das fertig.«
»Wie lange bleiben Sie noch hier?«
»So lange, um Sie oft zu sehen«, entgegnete der Agent. Er reichte ihr den Arm und führte sie an den Tisch zurück. Er rüttelte Horst hoch, der dumpf vor sich hinbrütete, klopfte ihm auf die Schulter. »Nur keine Müdigkeit vorschützen«, sagte er lachend.
Der junge Mann griff so folgsam-unwillig zum Glas, wie Werner Stahmer die Befehle Heydrichs ausführte. Schlappschwanz, dachte der Agent. Du bist genauso wie ich. Nur hättest du es viel leichter. Mich kann man in die Fresse hauen, den Obergruppenführer nicht …
Die Musiker packten ihre Noten ein. Dreiundzwanzig Uhr. So früh ging man in Gleiwitz schlafen. Stahmer reichte Sybille die Hand, blinzelte ihr zu. Ich melde mich wieder, hieß das.
»Vielen Dank für den Abend«, Horst kaute an den Worten, die ihm schwerfielen.
Warte nur, dachte Stahmer gallig, ich zieh' mich ja bald zurück. Vorher muß ich nur noch einen Sender stürmen, ein paar Menschen umlegen und einen kleinen Weltkrieg auslösen! Dann kannst du dein Mädchen wieder haben, ganz allein für dich. So lange wenigstens, bis sie dir eine Uniform verpassen und dich nach vorn jagen …
Mit den Händen in der Tasche ging Werner
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