Prinz-Albrecht-Straße
Stahmer.
»Dann suchen Sie sie doch«, auf den schmalen Lippen des SS-Führers zitterte der Hohn nach. »Ich habe sie festnehmen lassen«, sagte er dann direkt. »Und nun dürfen Sie raten, warum.«
»Der Anruf war eine Dummheit«, sagte Stahmer, »und ich stehe dafür gerade … ich … nicht Margot …«
Heydrich steckte die Hand in die Hosentasche; er hielt den Kopf schief. Dann ging er zum Schreibtisch zurück. Die Stiefel knarrten.
»Werden Sie nicht dramatisch, Sie Aushilfskavalier«, versetzte Heydrich zynisch. »Was immer mit dem Mädchen geschieht … Sie sind schuld. Sie ganz allein.« Er betrachtete seine polierten Fingernägel. »Sie brauch' ich noch«, sagte er, »Sie werden spuren wie nie zuvor. Sie werden der tollste Bursche in meinem Amt. Sie werden sich darum reißen, die verwegensten Aufträge zu übernehmen. Glauben Sie das?«
»Nein, Obergruppenführer«, erwiderte Stahmer steif.
Jovial ging Heydrich über den Widerspruch hinweg, den er sonst keinem durchließ. »Sie sind die Lebensversicherung«, plauderte er weiter, »die Lebensversicherung für das Mädchen. Solange Sie in Ordnung sind, bleibt das Mädchen am Leben.«
»Das … das können Sie nicht«, versetzte Stahmer wie gewürgt.
»Ich kann alles«, entgegnete Heydrich fast träge. »Und von jetzt ab wollen wir uns darüber unterhalten, was Sie können.«
Stahmer zwang sich zur Ruhe. Er zitterte nicht vor Angst, sondern vor Haß. Er wäre seinem Chef mit Wonne an die Kehle gefahren, aber er wußte, daß er mit seinen Fäusten nichts ausrichten konnte. Jeder Gedanke war ihm abzulesen, und er fühlte, wie Heydrich sich darüber belustigte.
»Ich bin auch für Gerechtigkeit«, fuhr Heydrich fort, »ob Sie es glauben oder nicht, Stahmer. Natürlich würde ich Sie viel lieber einsperren als das Mädchen, aber Sie sind kriegswichtig. Unser Dienst hier ist keine Spielerei mehr … sondern Front Nummer 1. Sie haben einen Fehler gemacht, und ich begrüße ihn jetzt fast. Denn ich besitze eine Geisel, daß Ihnen kein zweiter mehr unterläuft … Je mehr Sie an dem Mädchen hängen, desto …« er spitzte die Lippen, »desto energischer setzen Sie sich künftig ein für Führer, Volk und Vaterland.«
Heydrich warf den Zigarettenstummel in hohem Bogen weg. Er winkte mit dem Kopf. Stahmer ging, wie wenn er geschoben würde.
»Sie halten sich zu meiner Verfügung«, rief ihm der Chef des RSHA nach.
78
Der Krieg verschaffte dem Reichssicherheitshauptamt in einer Weise Zugang zur Macht, wie Heydrich sie sich in den Jahren der Vorbereitung erträumt hatte. Jede Rücksicht konnte fallengelassen werden. Es gab keine Grenze mehr für den Frevel, keinen Maßstab mehr für den Wahn. Heydrichs Rezept bestand jetzt in der Verwendung unbeschränkter Machtmittel zu schrankenlosem Treiben. Das RSHA wurde zu einem Polypen mit unzähligen Fangarmen, zu einem Ungeheuer, dessen Schatten schwer über dem Reich lag. Es gab nichts, was zu klein oder zu groß gewesen wäre, um nicht in die Akten der Prinz-Albrecht-Straße aufgenommen zu werden. Die Seufzer in den Luftschutzkellern wurden hier genauso registriert wie die Witze Betrunkener am Biertisch. Man dividierte Menschenleben durch Zyklon B, man errechnete, zunächst noch auf dem Papier, wieviel Kubikmeter Gas man brauchte, um tausend Menschen zu töten, und wie sich das tägliche Soll noch steigern ließe. Man konstruierte bereits Krematorien, und man addierte im voraus die Goldzähne, die man den Opfern in den KZs ausbrechen konnte.
Die Zentrale wurde zum Wasserkopf, zum Sammelbecken der Typen. Wer immer sein Gewissen verletzt hatte, konnte es hier zu etwas bringen. Gauleiter begannen das RSHA zu fürchten, Industrielle zu finanzieren. Die Macht, die Heydrich in den Händen anschwoll, brachte ihn in eine Art Dualismus zu Himmler, den er noch mühelos beherrschte.
Vielleicht fürchtete sich der bläßliche Reichsführer der SS bereits vor seinem Homunkulus, oder er war als salbadernder Theoretiker eifersüchtig auf den eiskalten Praktiker.
Dabei hatte das Reichssicherheitshauptamt, das über die totale Macht verfügte, offiziell keinerlei Funktion. Es war lediglich eine Dachorganisation verschiedener Ämter, die der mittlerweile zum SS-Obergruppenführer beförderte Heydrich in einer Art Personalunion zusammenhielt. Was zunächst als verwaltungsmäßige Konzentration gedacht war, wurde zum perfektesten Polizeistaat, den es je gegeben hatte.
Die Kompetenzen blieben bewußt im unklaren, so daß
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