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Prinz-Albrecht-Straße

Prinz-Albrecht-Straße

Titel: Prinz-Albrecht-Straße Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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Sie haben das Gespräch mitgehört. Und sie haben das Mädchen ›in der Versenkung verschwinden lassen‹. Vielleicht war Margot nur eingesperrt, oder sie haben gleich ganze Arbeit geleistet … und jetzt würden sie mit ihm abrechnen. Mit einem Agenten, der das Schweigegebot wie ein Anfänger gebrochen hatte.
    Stahmer überlegte einen Moment, welchen Kurswert er für das Ausland im Augenblick hatte. Für die neutralen Länder zum Beispiel. Was würde geschehen, wenn Werner Stahmer irgendwo auf einer internationalen Pressekonferenz erschiene und sagen würde: Jawohl, ich war der Mann, der die Zündung für den Zweiten Weltkrieg gab! Der Befehl kam von Hitler und wurde von Heydrich weitergegeben. Das Reichssicherheitshauptamt inszenierte das Verbrechen, nachdem die Abwehr des Admirals Canaris sich geweigert hatte mitzuspielen.
    Und Margot? fragte sich Stahmer.
    Falls sie noch lebte, war es ihr sicheres Ende. Und nicht nur das ihre. Sie würden auf seine Mutter zurückgreifen, auf seine Schwester, vielleicht auf Margots Vater. Sie hatten die Sippenhaftung erfunden und so die Beine zur Flucht mit Betonklötzen versehen. Wer ihren Fängen entkam, wurde zum indirekten Mörder der eigenen Mutter.
    Werner Stahmer trieb durch das nachtdunkle Berlin. Seine Gedanken purzelten durcheinander wie junge Hunde, und dabei waren sie nicht neu. Er kannte die Maßarbeit Heydrichs. Seine Lippen verzogen sich. Die Zentrale präsentierte die Rechnung. Es war soweit. Bestenfalls würde man ein junges, lebenslustiges Mädchen gegen ihn als Faustpfand benutzen.
    Er war wie gerädert, als er am nächsten Tag in Heydrichs Vorzimmer wartete. Keiner sprach mit ihm. Sie wußten alle schon, daß er in Ungnade war. Wie weit geht sie? überlegte er zwecklos. Konnte man sie noch reparieren? Wozu auch? Der nächste Auftrag war auch der nächste Mord. Er haßte Heydrich, vor allem, weil er ihn zum Schwächling degradiert hatte. Aber diesmal ging es nicht um ihn, sondern um Margot. Um die Frau, die er liebte. Ein Agent hat keine Gefühle zu haben, er hat zu marschieren. Im Zwielicht. Finger am Abzug. Blickrichtung Opfer. Befehl ist Befehl … und Mord bleibt Mord.
    »Kommen Sie«, sagte der Adjutant barsch.
    Heydrich stand am Fenster und sah auf die Straße, drehte sich langsam um. In seinem schmalen Gesicht hing ein schiefes Lächeln, wie aufgesetzt, undefinierbar. »Ach Sie«, begann er wie überrascht.
    »Befehl ausgeführt, Obergruppenführer.«
    »Meinen Sie?« fragte Heydrich ruhig. Er ging auf seinen Schreibtisch zu, wühlte in Papieren, zündete sich eine Zigarette an. »Sind Sie ein Anfänger«, fragte er, »oder werden Sie alt?«
    Stahmer spürte die Angst in seinem Rücken, aber er straffte sich zum erstenmal, bereit, nicht umzufallen.
    »Sie haben meine Befehle mißachtet«, fuhr Heydrich in einem Ton fort, als ob er erzählte. »Sie haben eine Geheime Reichssache durch einen lächerlichen Telefonanruf gefährdet … Sie sind nicht mehr wasserdicht, Stahmer.« Heydrich ließ ein überlanges Lineal durch die Luft zischen und hielt inne. Dann fuhr er fort: »Zwar haben Sie Gleiwitz ganz gut hingebracht … aber Schwätzer kann ich nicht gebrauchen.« Er starrte Stahmer an, als wollte er die Angst genießen. Er schien zu überlegen, was er mit ihm machen sollte. Miserables Theater, dachte Stahmer, billige Schmiere. Und dieser Komödiant ist ja gar nicht der Teufel. Er spielt ihn bloß …
    »Wir arbeiten an einer neuen Sache«, fuhr Heydrich dann bewußt nebensächlich fort. »Vielleicht erinnere ich mich Ihrer Verdienste und gebe Ihnen eine letzte Chance, sich zu bewähren. Vielleicht auch nicht … verstanden?«
    »Jawohl, Obergruppenführer«, erwiderte Stahmer mechanisch. Er sprach mit der Zunge eines Fremden, auch seine Gedanken gingen fremd, trafen sich bei Margot.
    »Gut«, antwortete Heydrich abschließend, »und nun verduften Sie.«
    Stahmer zögerte eine Sekunde. Und Margot? überlegte er angespannt. Er überging Heydrichs unwillige Handbewegung. Er spürte die kleinen mongolischen Augen auf seinem Gesicht, er spürte, daß sein Hemd am Rücken naß wurde. Sonst machte er mit zackigen Schritten eine feine Kehrtwendung, aber heute stand er seltsam gebeugt.
    »Haben Sie noch etwas?« fragte ihn der Chef des Reichssicherheitshauptamtes gereizt.
    »Jawohl, Obergruppenführer«, erwiderte Stahmer, »meine zukünftige Frau … Margot Lehndorff ist verschwunden.«
    »Verschwunden?« fragte Heydrich wie amüsiert.
    »Ja«, versetzte

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