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Prinz-Albrecht-Straße

Prinz-Albrecht-Straße

Titel: Prinz-Albrecht-Straße Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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Gruppenführer, »daß sich das Reich ein derartiges Verbrechen nicht bieten lassen konnte.« Er hob die Hand, sah sich um. »Hier, angesichts dieser braven deutschen Soldaten, die feige niedergemetzelt wurden, zerbricht die Bereitschaft zum Frieden, die der Führer immer wieder zeigte.«
    Eine Wehrmachtskolonne passierte die Wiese. Blutjunge Soldaten starrten auf die Toten, wandten sich ab, saugten sich mit Haß gegen die Polen voll. Der Gruppenführer gab die Wiese zur Besichtigung für die Bevölkerung frei.
    Gleichzeitig arbeitete die Propagandamaschine, versuchte durch Haß Kriegsbegeisterung zu erzeugen. Die ›Aktion Himmler‹ war zu Ende. Übungsziel erreicht: Der Zweite Weltkrieg war da.
    Und so wurden namenlose KZ-Häftlinge, Todeskonserven, mit militärischen Ehren als die ersten, die den Heldentod erlitten, feierlich beerdigt. Auch hier stand die Wochenschau wieder. Während man die Rosensteins der Erde übergab, spielte die Kapelle getragen: »Ich hatt' einen Kameraden …«

77
    Am späten Abend kam Werner Stahmer wieder in Berlin an. Die Umwege, die ihm das Reichssicherheitshauptamt vorgeschrieben hatte, waren so lächerlich gewesen, daß der Agent zeitweilig befürchtet hatte, als gefährlicher Mitwisser beseitigt zu werden. War es schon soweit? Oder würde man bei ihm eine Ausnahme machen? Seiner Verdienste wegen? Würde ihn Heydrich nicht ermorden, sondern bloß verheizen?
    Er wußte es nicht. Aber über sich selbst wußte er nun endgültig Bescheid. Weder sein Kopf noch sein Herz ließen ihm eine weitere Ausrede. Er war der Gehilfe von Mördern, mutig auf Geheiß, weil er zu feige war, sich von ihnen zu lösen. Spätestens seit der Affäre Formis hätte er es erkennen müssen; und er hatte es auch erkannt, aber immer wieder eine Entscheidung hinausgeschoben. Jetzt saß er in der Falle. Abenteuersucht hatte ihn in das Prinz-Albrecht-Palais gebracht, weil er kein Stubenhocker werden wollte. Er war so weit, jeden anderen zu beneiden, der studiert hatte und den bürgerlichen Weg gegangen war, selbst die Männer noch, die jetzt als Soldaten einrückten. Falls sie durchkamen, hatten sie wenigstens ein Zuhause, einen ruhenden Pol, eine Sicherheit; seine Zukunft aber war und blieb die Straße der Verdammten mit den Meilensteinen der Gefahr, der Verzweiflung. Er hatte sich um diese Erkenntnis herumgedrückt, er hatte Margot an sich gezogen, obwohl er wissen mußte, daß sie für Männer seines Schlages und seines Gewerbes unberührbar bleiben müsse. Nun trug er auch noch die Verantwortung für sie, obwohl ihn die eigene schon fast erdrückte.
    Berlin war verwirrend. Stahmer wurde schon bei der Ankunft von einer seltsamen Unruhe erfaßt. Er rief noch vom Bahnhof bei Margot an, für die er seit Wochen verschollen sein mußte.
    Ihr Vater war am Apparat. Seine Stimme klang müde, schleppend. »Kommen Sie bitte her«, sagte er.
    »Ist etwas los?« fragte Stahmer betroffen.
    »Ja«, versetzte der Mann; es hörte sich an, als ob er unendlich weit weg sei. »Aber wir können das nicht am Telefon besprechen.«
    Stahmer nahm ein Taxi. Die Villa in Dahlem lag wie verlassen da. Kein Licht. Keine Gäste. Margots Vater wirkte so abgespannt, als ob er den Krieg, der gerade begonnen hatte, schon hinter sich hätte. In seinem Gesicht lag ein Vorwurf, den er nicht aussprach.
    Als Stahmers Augen seinem Blick begegnet waren, wußte der Agent schon alles, bevor er es erfuhr. »Was ist los?« fragte er. Seine Stimme klang rauh, abgehackt.
    »Margot ist weg.«
    »Wieso?«
    »Verhaftet«, erwiderte der Vater, »seit vierzehn Tagen.«
    »Und wo ist sie?« fragte Stahmer.
    Der Vater machte eine hilflose Geste.
    »Haben Sie sich mit der Polizei in Verbindung gesetzt?« fragte Stahmer. Er hatte ein Gefühl, wie wenn der Boden unter ihm nachgeben würde. Er lag in einem Meer, und die Wellen verschütteten ihn. Es war ihm schwindlig, aber er sah keinen Halt.
    »Das habe ich getan«, versetzte Herr Lehndorff schleppend. Er ging ein paar müde Schritte hin und her.
    »Ich endete bei der Vermißtenabteilung, die Leute haben ein Protokoll aufgenommen … zuerst überschlugen sie sich vor Eifer … und dann auf einmal … wichen sie mir aus … Kein Zweifel, daß die Beamten wußten, wo Margot ist.«
    Stahmer senkte den Kopf. Meine Schuld, dachte er. Er wagte den alten Mann kaum anzusehen.
    »Es muß mit Ihnen zusammenhängen«, fuhr Lehndorff fort.
    »Ich weiß«, erwiderte der Agent wie erschlagen. Der Anruf aus Gleiwitz, dachte er.

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