Prinz-Albrecht-Straße
Heydrich eine Abteilung gegen die andere ausspielen konnte und aus dem Wechselspiel von Gunst und Drohung die letzte Potenz der Macht gewann. Er hatte in seiner makabren Zentrale bewußt die gegensätzlichsten Typen vereint: die stiernackigen Schläger aus den Nazikellern in der Anfangszeit der Bewegung neben schmalköpfigen Corpsstudenten, Proleten neben Adligen, Abenteurer neben Fachleuten, braune Fanatiker neben politisch Indifferenten, Analphabeten neben Akademikern.
Das Ganze aber war nach bürokratischen Grundsätzen organisiert und die Abteilungen des RSHA in Ämter mit seltsamen Kompetenzen unterteilt:
Amt I Personalamt,
Amt II Amt für Organisation, Verwaltung und Recht
(Haushalt und Wirtschaft),
Amt III SD-Inland
(Berichterstattung über die deutschen
Lebensgebiete),
Amt IV Gegnererforschung und -bekämpfung
(Geheime Staatspolizei),
Amt IV-E Spionage-Abwehr Inland,
Amt V Amt für Verbrecherbekämpfung (Kripo),
Amt VI Amt für den Auslandsnachrichtendienst,
Amt VII Archiv und Amt für weltanschauliche Forschung
und Auswertung.
Wenn der SS-Obergruppenführer in Berlin weilte, pflegte er sich fast täglich mit seinen Abteilungsleitern zu treffen und beim Mittagstisch seine Pläne zu entwickeln. Zwischen Suppe und Hauptgericht wurden neue Anschläge ausgeheckt und beim Dessert Liquidationszahlen festgelegt. Die Tischrunde unter dem Vorsitz Heydrichs, eines wegen einer Weibergeschichte entlassenen Marineoffiziers, war bereits ein Symptom des RSHA. Ein Tummelplatz der Intrigen, selbst noch im kleinsten Kreis.
Hier saß der Gestapo-Müller, ein primitiver, ewig untergeordneter Polizist, neben dem Kriminalrat und SS-Gruppenführer Arthur Nebe, einem hochqualifizierten Beamten, der es rasch zum Chef des Reichskriminalpolizeiamtes gebracht hatte und den verblendeter Ehrgeiz so weit bringen sollte, daß er sich selbst als Chef einer Einsatzgruppe hinter das MG legte, um seinen Leuten zu zeigen, wie ›man Russen liquidiert‹. Ein Mann, der das Regime, dem er vorbehaltlos diente, innerlich ablehnte, der ohne Rücksicht Hilflose verfolgte, so wie er umgekehrt Verfolgten helfen konnte. Ein Gegenspieler Müllers, ein Könner von Format, bei dem auch Experten des Auslands gelegentlich lernen konnten. Ästhet und Massenmörder, der Prototyp des braunen Mitläufers, der schließlich als Widerstandskämpfer hingerichtet wurde.
Daneben Walter Schellenberg, ein blutiger Anfänger, der nichts vorweisen konnte außer einem juristischen Examen und gelegentlichen Denunziationen als ›ehrenamtlicher‹ SD-Spitzel. Angenehmes Aussehen und gute Umgangsformen, gekoppelt mit geistiger Servilität und intriganter Geschicklichkeit, schienen zu genügen, um ihn nach und nach zum Chef der gesamten Spionage werden zu lassen, zum Hexenmeister eines Dschungels, von dem er nichts verstand und dem er in naiver Wild-West-Manier sich gewachsen glaubte, wenn er in seinem Schreibtisch in der Prinz-Albrecht-Straße eine Maschinenpistole mit Fußauslösung für den Bedarfsfall einbauen ließ. In den Reihen des SS-Ordens war Schellenberg wohl nicht der schlimmste, und es mochte seine farblose Durchschnittlichkeit sein, die ihm nach dem Zusammenbruch des Jahres 1945 den Kopf rettete.
Auf andere Weise gelang das dem bauernschlauen Gestapo-Müller, der spurlos verschwand, obwohl er überall bekannt war und in ganz Europa gesucht wurde.
Da erschienen weiter zu gelegentlichen Besuchen die SS-Generäle Pohl und Ohlendorf, Verkörperungen einträchtiger Gegensätze, nicht wissend, daß sie beide am Galgen von Landsberg enden sollten: Ohlendorf als ein Mann im Bewußtsein seiner Schuld – Oswald Pohl, der Erfinder der wirtschaftlichen Verwertung gemordeter Feinde, nach einer aufdringlich-lauten Bekehrung.
Langsam, aber unaufhaltsam riß Heydrich die absolute Gewalt an sich. Er beherrschte die Justiz, die nur noch in seinem Schatten wirkte. Er setzte sich über Urteile hinweg oder bestimmte sie. Er machte die Richter zu Marionetten, in deren Roben das Unrecht schwitzte, so sie nicht aus Gründen der Karriere von sich aus Köpfe rollen ließen.
Das RSHA wurde zum Monopol. Der eigene Nachrichtendienst, den das Auswärtige Amt Ribbentrops ebenso wie die Auslandsorganisationen der NSDAP unterhielten,
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